In einer Zeit, die von rasanten technologischen Fortschritten geprägt ist, stehen Organisationen vor der Herausforderung, sich den tiefgreifenden Veränderungen durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI) anzupassen. Oftmals jedoch verfallen Unternehmen in den Fehler, neue, komplexe Probleme mit überholten Strategien anzugehen. Diese traditionelle Herangehensweise, die in der Vergangenheit effektiv war, erweist sich zunehmend als hinderlich in einem Umfeld, das Flexibilität, Agilität und innovative Denkweisen erfordert.
Die Digitalisierung und der Einsatz von KI bringen nicht nur neue technische Möglichkeiten mit sich, sondern verändern auch die Art und Weise, wie Menschen zusammenarbeiten und wie Unternehmen organisiert sind. Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, müssen Organisationen ihre Strukturen, Prozesse und ihre Kultur an diese neuen Gegebenheiten anpassen. Dieser Paradigmenwechsel bedeutet, dass alte Methoden oft nicht mehr ausreichen, um die Komplexität und Dynamik der heutigen Zeit zu bewältigen. Es erfordert eine grundlegende Neuausrichtung, die über die bloße Implementierung neuer Technologien hinausgeht und das ganze System – von der Organisationsstruktur bis zur Zusammenarbeit der Menschen – mit einbezieht.
Diese Vorgehensweise wird jedoch selten umgesetzt. Häufig werden nur neue Technologien genutzt oder implementiert. Dies ist einer der Gründe, warum etwa 70% aller Veränderungsprojekte nicht die gesteckten Ziele erreichen (Jessl & Heinze 2023). Oft werden schnelle Lösungen hierfür präsentiert, die nur oberflächliche Wirkung erzeugen können. Wollen Unternehmen wirklich nachhaltig die Digitalisierung und KI implementieren, so ist dies ein strategisches Thema, das Auswirkungen auf die gesamte Unternehmung hat. Um dies umzusetzen, muss der Veränderungsschutz der Organisation überwunden werden.
"Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind." (Albert Einstein)
Veränderungsschutz ist in vielen Organisationen eine wesentliche Praxis, die dazu dient, die Stabilität und Kontinuität betrieblicher Abläufe zu gewährleisten. Er schützt etablierte Prozesse und Strukturen vor überstürzten oder unkoordinierten Änderungen, die das Risiko bergen, die Effizienz oder Qualität zu beeinträchtigen. In einem Umfeld, das kontinuierliche Innovationen durch KI und Digitalisierung fordert, stellt Veränderungsschutz jedoch ein zweischneidiges Schwert dar.
Der Veränderungsschutz sichert bewährte Prozesse und gewährleistet die Verlässlichkeit von Abläufen, was für das Tagesgeschäft und die Einhaltung von Qualitätsstandards entscheidend ist. Durch die sorgfältige Bewertung von Änderungen werden potenzielle Risiken, die durch unkontrollierte Anpassungen entstehen könnten, verringert. Dies ist besonders wichtig in Bereichen, in denen Fehler gravierende Folgen haben können. Der Veränderungsschutz trägt dazu bei, wertvolle kulturelle Elemente innerhalb der Organisation zu bewahren, die über Jahre hinweg gewachsen sind und einen wesentlichen Beitrag zur Identität und zum Erfolg des Unternehmens leisten.
Dies ist besonders wichtig in Bereichen, in denen Fehler gravierende Folgen haben können. Der Veränderungsschutz trägt dazu bei, wertvolle kulturelle Elemente innerhalb der Organisation zu bewahren, die über Jahre hinweg gewachsen sind und einen wesentlichen Beitrag zur Identität und zum Erfolg des Unternehmens leisten.
Ein übertriebener Fokus auf Veränderungsschutz kann jedoch Innovationsprozesse hemmen, da neue Technologien wie KI oft schnelle Anpassungen und Experimente erfordern, um erfolgreich implementiert zu werden. In einer dynamischen Umgebung, die durch Digitalisierung geprägt ist, kann der Veränderungsschutz die notwendige Geschwindigkeit bei der Entscheidungsfindung und Anpassung reduzieren, was die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen kann. Organisationen, die zu stark auf Veränderungsschutz setzen, riskieren, die Fähigkeit zur schnellen Reaktion auf neue Marktanforderungen oder technologische Veränderungen zu verlieren. Dies führt oft zu einem Nachteil gegenüber agileren Konkurrenten.
Veränderungsschutz hat in der Geschichte vieler Organisationen eine wichtige Rolle gespielt, indem er Stabilität und Kontinuität sicherstellte. In der heutigen Ära der Digitalisierung und KI muss jedoch ein Gleichgewicht gefunden werden. Schutzmechanismen sollten so gestaltet sein, dass sie die Stabilität nicht auf Kosten der Anpassungsfähigkeit opfern. Unternehmen müssen in der Lage sein, flexibel auf Veränderungen zu reagieren, ohne dabei ihre Grundstruktur und Werte zu gefährden. Es ist entscheidend, dass Organisationen die Balance zwischen notwendigem Schutz und der Offenheit für Innovationen finden, um in einem sich rasant entwickelnden Umfeld der Digitalisierung und KI erfolgreich zu bleiben.
Wie eingangs erwähnt, erreichen etwa 70% aller Veränderungsprojekte nicht die gesteckten Ziele (Jessl & Heinze 2023). Basierend auf den 8 Ursachen für das Scheitern von Veränderungsprojekten, die Kotter bereits 1996 in seinem Klassiker „Leading Change“ nannte, hat BearingPoint bei einer Umfrage (2021) von 300 Change-Verantwortlichen sechs Handlungsfelder definiert, in denen Fehler zum Verfehlen der Projektziele führen können:
Ein Aspekt, der zu Fehlern in allen Bereichen führen kann, ist, dass häufig versucht wird, neue Herausforderungen, die Veränderungen mit sich bringen, mit alten Herangehensweisen anzugehen. Insbesondere bei disruptiven Veränderungen, die in unserer schnelllebigen Zeit immer häufiger vorkommen, ist es notwendig, traditionelle Denkweisen und Lösungsansätze zu hinterfragen. Dies bedeutet nicht, dass alles Alte falsch war oder in der Vergangenheit nicht gut und zielführend mit Veränderungen umgegangen wurde. Es bedeutet lediglich, dass die vorherrschenden Methoden und Tools nicht passend für die Art von Veränderung sind.
Dieser schmale Grat zwischen Musterbruch von traditionellen und einem Aufbruch zu neuen Arbeitsweisen, um disruptive Veränderungen wie die Digitalisierung oder dem vermehrten Einsatz von KI erfolgreich umzusetzen, und gleichzeitiger Wertschätzung der bisherigen Leistung erfordert einen systematischen und durchdachten Change-Ansatz.
Die folgenden vier Schlüsselstrategien können dabei helfen:
Veränderungen im digitalen Umfeld, sei es virtuelle Zusammenarbeit oder der Einsatz von KI, hat nicht nur Auswirkungen auf die Mitarbeitenden und ihren Arbeitsalltag selbst. Auch das Teamgefühl, die Arbeitskultur und die Anforderungen an Führungskräfte verändern sich. Die Unternehmenskultur spielt eine zentrale Rolle bei der erfolgreichen Umsetzung von Veränderungen. Es ist wichtig, eine Kultur zu fördern, die Offenheit für Neues, Innovationsgeist und Risikobereitschaft unterstützt. Führungskräfte und Change Agents sind hier besonders gefragt und müssen mit positivem Beispiel vorangehen und die gewünschte Offenheit vorleben, Innovationsgeist fördern und belohnen sowie Fehler als Lernchancen betrachten und eine positive Fehlerkultur sowie experimentierfreudige Atmosphäre schaffen. Entscheidende Qualitäten dabei sind unter anderem Empathie, Geduld und die Fähigkeit, mit positivem Mindset an Veränderungen und Neuerungen heranzutreten und diese proaktiv zu managen.
Neben den Führungskräften spielen auch die allgemeinen Strukturen eine entscheidende Rolle im Umgang mit Veränderungen: Innovationslabore und Pilotprojekte können helfen, um neue Ideen und Technologien in einem kleinen, kontrollierten Rahmen zu testen. Die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams kann unterschiedliche Perspektiven und Fähigkeiten zusammenbringen, wodurch kreative Lösungen entwickelt werden können. Der Einsatz agiler Methoden und Frameworks kann Flexibilität und schnelle Anpassungsfähigkeiten fördern.
Einer der Hauptgründe für das Scheitern von Veränderungsprojekten sind Widerstände und Sorgen der Mitarbeitenden. Insbesondere wenn sie das Gefühl haben, dass ihre bisherige Arbeit hinterfragt und kritisiert wird, oder sogar befürchten, dass ihre Arbeitsplätze durch den Einsatz von digitalen Technologien oder KI gefährdet sein könnten, ist ein transparentes Kommunikationsmanagement essenziell. Die aktive Einbindung der Betroffenen in den Veränderungsprozess hilft, Ängste abzubauen, Fragen frühzeitig zu beantworten und die Akzeptanz zu erhöhen.
Zudem ist es von großer Relevanz, die Mitarbeitenden zu befähigen, sich fachlich auf die Veränderungen vorzubereiten und kontinuierlich weiterzubilden. Die Digitalisierung schreitet in einem enorm hohen Tempo voran. Fortlaufende Entwicklungsprogramme, Trainings und Schulungen, sowohl in technischen als auch in sozialen Kompetenzen, sorgen dafür, dass die Motivation bestehen bleibt und keine Veränderungssättigung eintritt.
Remote-Arbeit und virtuelle Zusammenarbeit ist spätestens seit der Corona-Pandemie nicht mehr aus der heutigen Arbeitswelt wegzudenken. Teams arbeiten über geografische Grenzen hinweg mit Hilfe von digitalen Tools wie Slack, Microsoft Teams oder KI-gestützter Projektmanagement-Software zusammen. Auch hier ist es von großer Bedeutung, die Mitarbeitenden entsprechend zu schulen und zu unterstützen.
Neben der Unterstützung der Mitarbeitenden ist es ebenso erforderlich, die technologische Infrastruktur entsprechend der sich ändernden Bedürfnisse anzupassen – dies beinhaltet unter anderem zeitgemäße Tools und Technologien wie Cloud-Lösungen und Kollaborationstools, die Implementierung von Datenanalysetools, um schnell fundierte Entscheidungen zu treffen, sowie die Integration in bestehende Systeme und Prozesse und die Bereitstellung leistungsstarker Arbeitsgeräte.
In unserer dynamischen Welt ist der Wandel ein fortlaufender Prozess. Um nicht nur einmalig auf Neuerungen vorbereitet zu sein, sondern die genannten Strategien nachhaltig zu implementieren und zu berücksichtigen, ist es wichtig, den Status-quo und aktuelle Methoden und Arbeitsweisen regelmäßig zu überprüfen – beispielsweise durch Feedback-Schleifen –, sich mit anderen Unternehmen zu vergleichen und Best Practices zu identifizieren und eine zukunftsorientierte, vorausschauende Planung zu erstellen, um auf zukünftige Entwicklungen vorbereitet zu sein.
Abb. 1: Das Tiba Transformationsrad® (eigene Darstellung)
Im Rahmen einer Automatisierung und Digitalisierung muss die gesamte Arbeitsweise eines Bereichs in einem Konzern komplett verändert werden. Dies hat Auswirkungen auf alle Elemente des Tiba Transformationsrads® (siehe Abb. 1).
Die Schwierigkeit einer Transformation ist dabei immer, den Einstieg zu finden. Eine Veränderung gleichzeitig an allen Seiten führt zu Instabilität, ist ungesund und stellt ein Unternehmensrisiko dar. Die Muster des Konzerns waren geprägt von Funktionsorientierung, klaren Verantwortlichkeiten, wenig Entscheidungskompetenz bei den Wissensträgern und einer niedrigen Motivationsrate, die negative Seite der gelebten Tradition in diesem Unternehmen.
Die Digitalisierung und Automatisierung benötigten das gesamte Potenzial der Unternehmung und der Mitarbeitenden. Der erste Versuch die Umsetzung mit dem üblichen Werkzeugkoffer umzusetzen, scheiterte dabei. Die Unzufriedenheit stieg, die Erfolge blieben aus und die gesamte Digitalisierung wurde – zumindest von den Mitarbeitenden – in Frage gestellt. Es benötigte ein Vorgehen, um die Muster zu brechen. Deshalb wurde ein Neustart des Themas initiiert und eine andere Herangehensweise gewählt, die unter anderem eine iterative Vorgehensweise, Protoyping und ein digital Mindset ermöglichte und erforderte.
Anfangs wurde eine Heatmap der wichtigsten Themen inklusive Priorisierung erstellt. Bereits diese Erstellung der Heatmap wurde so gestaltet, wie das Unternehmen in Zukunft arbeiten möchte oder müsste. So wurde dies nicht von oben vorgegeben, sondern mit den Mitarbeitenden gemeinsam erarbeitet. Auch bei der Umsetzung wurden cross-funktionale Teams gebildet, um die Themen zu bearbeiten und umzusetzen. Die Themencluster waren dabei aus allen Bereichen des Tiba Transformationsrads®. Sowohl an den Themen selbst, aber auch an dem Leadership-Verständnis, Co-Mindset und Verhalten wurde gearbeitet. Auch strukturelle Veränderungen wurden gemeinsam beschlossen und umgesetzt. So gab es neue Prozesse, neue Organisationsstrukturen und neue Rollen und Verantwortlichkeiten. Entscheidungen werden schneller getroffen und aus Fehlern gelernt. Dies sind nur einige Ergebnisse.
Es zeigt sich, eine Digitalisierung ermöglicht den Wandel einer Organisation und deren Neuausrichtung. Die Auswirkungen gehen dabei über die Digitalisierung hinaus.
Nach Ausscheiden des Gründers eines großen Industriebetriebes und der Neubesetzung durch zwei Vorstände benötigte es eine neue Unternehmenskultur. Die bisherige Herangehensweise der Alleinentscheidung durch den Gesellschafter und Gründer konnte durch die neuen Manager so nicht fortgesetzt werden. Um diese Transformation zu gestalten, wurde unter anderem eine wirksame Lean Organisation angestrebt. Dies beinhaltete neben der Beschreibung und Ausrichtung effizienter (Produktions-)Prozesse die Veränderung der gesamten Unternehmenskultur. War es bisher möglich, seine Ideen und Themen direkt mit dem Eigentümer zu besprechen und schnelle Entscheidungen zu Inhalten und gegebenenfalls riskanten Investitionen zu erhalten, bedarf es bei einer Manager-geführten Organisation anderer Entscheidungsprozesse. Um dies so schlank wie möglich zu gestalten, wurde die Idee einer „Lean Organisation“ umgesetzt.
Hierbei war einer der Hebel die Weiterentwicklung der Führungskräfte. Dies beinhaltete einen erheblichen Kompetenzaufbau. So wurden auf allen Ebenen die Grundlagen geschaffen, die Transformation zu einer effizienten Organisation umzusetzen. Die Liste der notwendigen neuen Kompetenzen wurde durch die Betroffenen selbst erarbeitet und gemeinsam mit dem Vorstand priorisiert. Dies beinhaltete neben methodischen Kompetenzen wie Change Management und Coaching auch das Erleben neuer Zusammenarbeitsmodelle und der persönlichen Weiterentwicklung der Führungskräfte. Die wurde durch den Veränderungswillen des Vorstands nicht nur gestützt, sondern der Vorstand agierte dabei als Vorbild. Diese Grundlage ermöglichte nun in die inhaltliche Verbesserung der Produktionsprozesse anzugehen und die Themen Automatisierung gemeinsam zu durchdenken und aufzusetzen.
In einer Welt, die zunehmend von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz geprägt ist, stehen Organisationen vor der Notwendigkeit, ihre bisherigen Vorgehensweisen zu hinterfragen und zu adaptieren. Klassische Wege zur Problemlösung oder dem Umgang mit Veränderungen sind unzureichend, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Stabilität und Kontinuität sind zwar gut, um sicher zu gehen, können aber auch hinderlich in Bezug auf Innovation und notwendige Anpassungen sein. Organisationen müssen daher eine Balance finden zwischen dem Bewahren bewährter Strukturen und der Offenheit für Neues.
Die Notwendigkeit eines systematischen und durchdachten Veränderungs- und Transformationsansatzes wird durch die hohe Misserfolgsquote von unstrukturierten Veränderungsprojekten unterstrichen. Es gilt, nicht nur technologische Anpassungen vorzunehmen, sondern auch kulturelle und strukturelle Veränderungen zu fördern. Die aktive Einbindung von Mitarbeitenden und Betroffenen durch ein iteratives Vorgehen, eine zeitgemäße technologische Infrastruktur und kontinuierliche Lernmöglichkeiten sind nur einige Beispiele kritischer Erfolgsfaktoren von Veränderungs- und Transformationsprojekten.
Digitalisierung und künstliche Intelligenz bieten die Chance, Organisationen umfassend zu erneuern und dadurch zeitgemäß und zukunftsfähig aufzustellen, wenn sie strategisch und ganzheitlich angegangen werden. Nur so können Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit in einem dynamischen Umfeld langfristig sichern.
BearingPoint (2021). Change Management Studie: Verankerung von Wandel in Organisationen. https://www.bearingpoint.com/de-ch/insights-events/insights/change-management-studie-2021/ [abgerufen am 04.07.2024].
Jessl, R. & Heinze, I. (2023). Misserfolge im Change. https://changement-magazin.de/interview/misserfolge-im-change/ [abgerufen am 04.07.2024].
Kotter, J. P. (1996). Leading Change. Harvard Business Review Press.