Gender Equality gehört nicht nur zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN, auch Unternehmen sehen zunehmend die Relevanz von Diversität und Gleichberechtigung. Insbesondere in der Außendarstellung kommunizieren große Unternehmen in geschlechtergerechter Sprache – und so scheint es zumindest, als sei die Unternehmenswelt in diesem Bereich einen großen Schritt vorangekommen. Aber wie ist es in unserer Arbeitswelt tatsächlich um Gleichberechtigung bestellt, insbesondere in der Führungsetage? In diesem Interview berichtet Führungskräfte-Coach und Trainer Dan-Felix Sorgler, welche Erfahrungen er mit dem Thema Gendern und Gleichberechtigung gesammelt hat und welche Rolle die Unternehmenskultur in Bezug auf Gleichberechtigung spielt.
Dan-Felix: Mein erster Berührungspunkt war tatsächlich unangenehm. Im Verlauf eines Trainings vor vielen Jahren hatte eine Teilnehmerin sehr ungehalten darauf reagiert, dass ich nicht gegendert habe.
Sie wies mich darauf hin, dass sie sich von mir nicht angesprochen fühlte: „Ich bin kein „Moderator“, sondern eine „Moderatorin“!“. Ich habe mit der wahrscheinlich üblichen Abwehr reagiert und fand sie erst einmal doof und habe mich angegriffen gefühlt. Es hat mich aber dennoch zum Nachdenken angeregt. Daraufhin habe ich mich intensiv mit dem Thema beschäftigt und für mich auch nochmal reflektiert, warum Gendern eben auch so wichtig ist – Und durch diesen Perspektivwechsel habe ich schlussendlich meine festgefahrenen Denkmuster diesbezüglich überwinden können und bin mittlerweile ein sehr großer Verfechter geschlechtergerechter Sprache.
Wie erlebst du im Kontakt mit Kunden und Kolleg:innen den Umgang mit geschlechtergerechter Sprache? Sind da die Reaktionen eher positiv oder negativ?
Dan-Felix: Manche Leute sind durchaus verwundert und sprechen mich aktiv drauf an. Daraus entstehen oftmals sehr spannende Diskussionen. Wenn ich mich erkläre, nenne ich zunächst das Argument des Empowerments: Wenn eine Person sich direkt angesprochen fühlt, erhält sie den Eindruck, viele Möglichkeiten zu haben und tendiert eher dazu, das eigene Potenzial auszuschöpfen – Diese Hebelwirkung dürfen wir nicht unterschätzen. Das zweite Argument ist das Thema Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. Diverse Studien weisen darauf hin, dass die Verwendung des generischen Maskulinums (z.B. der Lehrer) in der Sprache psycholinguistisch mit Männern assoziiert wird, also eben gerade nicht geschlechtsneutral wirkt, wie viele argumentieren. Und gerade im Unternehmenskontext kann Unsichtbarkeit für die Einzelperson negative Folgen für die ganze Karriere haben.
Ich konnte in Diskussionen bis jetzt, soweit ich weiß, alle davon überzeugen, dass Gendern mindestens in Ordnung ist und einen Sinn hat. Das heißt nicht zwangsläufig, dass mein Gegenüber im Anschluss selbst gendert. Das ist wiederum eine Frage der Einstellung, ob ich dies einfordere oder erst einmal nur feststelle, dass ich es mache, weil ich es sinnvoll finde. Mir scheint es kontraproduktiv, autoritär aufzutreten oder anderen etwas aufzuzwingen. Ich schaue für mich persönlich, dass ich gendere, und zwar auf eine Art und Weise, die ich selbst hinreichend ästhetisch finde. Dadurch kann ich möglicherweise andere inspirieren und einladen, es auch zu tun. Mir ist hierbei aber auch bewusst, dass es für mich als Mann etwas leichter ist, weil ich nicht selbst betroffen bin.
Gendern ist auch ein Ausdruck von Gleichberechtigung. Wie erlebst du das Thema Gleichberechtigung in deinem Arbeitsalltag?
Dan-Felix: Ich bin in meiner Rolle als Coach in vielen Führungsetagen unterwegs und vor allem dort fällt mir Ungleichbehandlung immer wieder auf. Ich erlebe regelmäßig, dass Frauen einfach weniger gehört oder ihre Ideen weniger berücksichtigt werden. Von tatsächlicher Gleichberechtigung sind wir (meistens) meilenweit entfernt.
Ich erlebe auch immer wieder, dass das von Frauen Gesagte in Meetings weniger Raum bekommt, als wenn Männer etwas sagen. Das ist nicht immer so, aber doch so häufig, dass es mir auffällt. Auch in vielen Einzelcoachings höre ich, wie viele Frauen massiv darunter leiden. Und andererseits bekomme ich mit, wie ablehnend manche Männer auf das Thema reagieren und die Missstände grundsätzlich herunterspielen.
Welche Rolle spielen deiner Meinung nach Männer beim Thema Gleichberechtigung?
Dan-Felix: Das zugrunde liegende Problem scheint mir zunächst einmal eine Prägung zu sein, die daher rührt, dass Männer und Frauen sehr unterschiedlich erzogen wurden und immer noch werden. Jungen werden auf Leistung trainiert: Ihr Wert wird über Leistung und Kompetenz definiert. Frauen werden tendenziell immer noch dazu erzogen, sich anzupassen, schön leise zu sein und viel Verantwortung zu übernehmen. Es gibt da ein interessantes Buch zu dem Thema, „Ungezähmt“ [von Glennon Doyle]. Das habe ich vielen weiblichen Klienten gegeben und einige finden sich da wieder.
Deswegen würde ich sagen, dass die Rolle der Männer darin liegt, erst einmal überhaupt wahrzunehmen, dass wir von einer wirklichen Gleichwürdigkeit Lichtjahre entfernt sind. Und dass dadurch, dass wir das nicht anerkennen, das Problem mindestens aufrechterhalten wird. Viele weiße Männer, ich bin ja selbst einer, haben so gut wie keine Erfahrung mit Diskriminierung. Vielleicht fällt es deswegen auch schwer, Empathie in diesem Bereich zu entwickeln. Aber das wünsche ich mir von meinen Geschlechtsgenossen, dass sie aktiv ein offenes Gespräch suchen und nachfragen. Viele Frauen reden nicht von selbst über ihre schlechten Erfahrungen, aus Angst, eh kein Gehör zu finden. Ich freue mich zwar, dass ich als Mann dieses Interview geben darf, das kann möglicherweise auch hilfreich sein. Generell sollten Männer in diesem Bereich aber mehr zuhören und Frauen eine Bühne geben, mit all den Erfahrungen, die sie machen.
Du arbeitest mit vielen Managern und Führungskräften, was hast du da insbesondere bei den männlichen Führungskräften für eine Wahrnehmung? Gibt es einen Perspektivenwechsel oder eine Änderung im Diskurs?
Dan-Felix: Das ist für mich eine Kulturfrage. In Organisationen, die ernsthaft einen Kulturwandel betreiben, die ehrlich an eine Transformation herangehen, erlebe ich das schon. Ich arbeite zum Beispiel mit dem „Radical Collaboration®“- Ansatz, in dem es darum geht, mehr in die Berührbarkeit zu kommen und eine Kontakt- und Konfliktfähigkeit zu entwickeln. Erst wenn ein Raum geschaffen wird, in dem das möglich ist - und das ist für mich die Voraussetzung für zum Beispiel agiles Arbeiten - erst dann können wir wirklich miteinander reden. Dabei entsteht auch eine Offenheit, über Themen wie Gleichberechtigung zu reden. Diese Atmosphäre ermöglicht Perspektivwechsel und dahingehend auch „Betroffenheit“. Und das sind schöne, wirklich transformative Momente.
In klassischen Organisationen mit „alter“ Managementkultur erlebe ich das allerdings gar nicht. Die Menschen bekommen dort voneinander und auch von sich selbst nicht viel mit, sondern funktionieren schlichtweg. Gerade in den größeren, älteren Betrieben herrscht eine Kultur, in der Gefühle einfach keinen Raum haben und das ist für alle Beteiligten, natürlich auch für Männer, davon bin ich überzeugt, schädlich.
Inwiefern?
Dan-Felix: Ich erlebe es so, dass bestimmte alte patriarchale Muster immer noch da sind. Ich merke, dass in mir immer wieder alte Bilder der Rollenverteilung hochkommen, das ist für mich als Mann ein Problem. Denn ich will ganz Mensch sein, will alle Facetten leben können und ich wünsche mir, dass mein Gegenüber das auch kann. Es tut uns allen gut, wenn wir berührbar sind und Gefühle haben dürfen. Bei Gefühlen gibt es aber aus meiner Sicht 2 Pole, die ungesund sind: Der eine Pol wäre, die Gefühle gar nicht wahrzunehmen, was tendenziell immer noch viele Männer tun und leider viele Frauen dazu bringt, das auch so zu tun. Der andere Pol wäre, eben nur in der Emotion zu sein, in dem Sinne, dass man sich nur von seinen Gefühlen steuern lässt. Das soll natürlich auch nicht sein. Schön wäre es aber, Gefühle ernst zu nehmen und zu integrieren, als Zeichen dafür zu sehen, dass unsere Bedürfnisse erfüllt sind, oder eben als Warnsignal, dass wir etwas ändern sollten. Insofern halte ich es - für alle Beteiligten - für unwahrscheinlich wichtig, berührbare Kultur zu erleben, um überhaupt in die Entwicklungsfähigkeit zu kommen.
Apropos Emotionen. Das Thema Gendern ist ein sehr emotional aufgeladenes Thema. Du hattest vorhin schon eine Art persönlichen Mittelweg beschrieben, aber wie sollten wir, als Gesellschaft und auch im Unternehmen, den Emotionen gegen das Gendern am besten begegnen?
Dan-Felix: Wir sollten ihnen auf jeden Fall nicht mit einem „richtig“ oder „falsch“ begegnen. Sondern eher über Empathie, Interesse und mit Kreativität. Für mich ist Sprache auch immer Entwicklung, aber das wird von manchen kritisiert. Hier könnten wir nach Kompromissen suchen, wie es denn für alle „schön“ werden kann, und dabei weniger kämpfen, sondern eher verhandeln, sich wechselseitig helfen, sich Feedback geben, sich fragen: Was ist für mich wichtig, was ist für andere wichtig? Es gibt ein Bedürfnis nach Einbezug, aber auch ein Bedürfnis nach Ästhetik, oder Effizienz. Hier sollten wir uns auf die Suche machen und Sprache als etwas Lebendiges verstehen, nicht als etwas, das fertig ist.