In vielen meiner Vorträge, Seminare oder Vorlesungen zum Thema Führung beginne ich mit denselben zwei Fragen: "Befinden Sie sich aktuell in einer Partnerschaft? Haben Sie Kinder?" Meine Absicht hinter diesen Fragen ist einfach, den Fokus auf zwei zentrale Thesen zu lenken, die den Grundstein meiner Arbeit darstellen:
Die Reaktionen auf dieses spaltende Thesen-Set sind vielfältig. Ich stoße auf Irritation und Unverständnis, manchmal stilles, selten aber resolut vorgetragenes Widerstreben. Gelegentlich ernte ich ein mildes Nicken oder ein anerkennendes "So habe ich das noch nie betrachtet". Unabhängig davon, was meine Teilnehmer in diesem Moment tatsächlich denken, bemerke ich schnell, dass ich eine emotionale Reaktion ausgelöst habe - und Emotionen sind wichtig, denn sie bedeuten "Bewegung". Und nur wer in Bewegung ist, kann effektiv führen.
Möglicherweise haben Sie schon vom Konzept des „Pacing und Leading“ gehört, welches hauptsächlich durch das Neurolinguistische Programmieren (NLP) Bekanntheit erlangte (Alexander, 2010; Andreas et al., 2007; Bandler, 1997; Dilts et al., 2005; Rückerl & Ehrlich, 2001).
Der Grundgedanke dahinter ist recht simpel: Zwei miteinander in Kommunikation oder „Beziehung“ tretende Individuen reagieren aufeinander. Kommunikation findet dabei nach dem Sender-Empfänger-Modell statt: Individuum A kommuniziert etwas, Individuum B reagiert darauf. Diese Kommunikation erfolgt dabei auf mehreren Ebenen – denn schließlich kann man nicht nicht kommunizieren (Feustel & Komarek, 2006; hesseschrader.com, o. J.; wikipedia.de, o. J.; Schlesiger, 2019; Schulz von Thun, 1981; Simon, 2007). Man könnte also sagen: Für eine positive Interaktion braucht man „die passende Chemie“, frei nach dem Sprichwort: „Gleich und gleich gesellt sich gern.“ Und an dieser Stelle kommen „Pacing und Leading“ ins Spiel.
Beim „Pacing“ gleicht der eine Gesprächspartner seine Mimik und Gestik, seine Sprachmuster, ja sogar seine gesamte Ausstrahlung bewusst an sein Gegenüber an. So erzeugt die pacende Person auf unbewusster Ebene ein Gefühl von Vertrauen und Ähnlichkeit. So entstehen Nähe und Verständigung. Im Fachjargon nennt man diesen Zustand „Rapport“. Besteht ein solcher, geht es ans „Leading“, also ans Führen der Person in einen anderen mentalen oder emotionalen Zustand.
„Pacing“ gelingt dann, wenn man sich für das Erleben seiner Mitmenschen öffnet, sich quasi in die Welt des Anderen hineinversetzt, also die eigene Wahrnehmung nach außen richtet. Erst wenn das gelungen ist, sich unser Gegenüber quasi „abgeholt“ fühlt, gelingt es, die andere Person in den gewünschten Zielzustand zu führen. Ich nenne diesen Ansatz „die Blackbox öffnen“ (Schlesiger, 2019).
In meinem „Modell von Welt“ (Korzybski, 2010) müssen wir „Beziehung“ und „Partnerschaft“ klar voneinander unterscheiden. Denn der Begriff „Beziehung“ ist vielfältig deutbar und je nach Forschungszweig sehr unscharf (u.a. Esser, 1993; Grawe, 1998). Tatsächlich liefert der Begriff für sich genommen keinen Informationsgehalt über die Qualität.
Deutlich anders sieht es dabei schon mit der „Partnerschaft“ aus. In der Psychologie wird damit eine (nicht-eheliche oder eheliche) Gemeinschaft bezeichnet, in der „soziale Rollen in befriedigender Weise auf situative und persönliche Bedürfnisse abgestimmt werden“ und in der – anders als in früheren Zeiten – nicht mehr ökonomische, sexuelle und soziale Zweckgemeinschaften im Vordergrund stehen (spektrum.de, 2000; psychologen.at, o. J.).
In einer funktionierenden Partnerschaft geht es also um den (emotionalen) Austausch, um gemeinsame Werte und Visionen. Das alles wird umspannt von gegenseitigem Vertrauen und Geborgenheit.
Wird dieses Vertrauen zerstört oder vermissen wir die Geborgenheit und den emotionalen Austausch, so beginnen wir zu zweifeln, ob diese Partnerschaft für uns noch weiter zielführend ist. Infolgedessen ziehen wir uns möglicherweise zurück, gehen in Widerstand, streiten oder beenden die Partnerschaft. Der bis dato bestandene „Rapport“ wird gebrochen.
Funktionierende Partnerschaft bedeutet gemäß meiner Theorie also „Rapport“ zu haben. Und wie ist das mit unseren Kindern? Auch hier benötigen wir ausreichend Rapport, damit wertschätzende Erziehung ohne Verletzungen überhaupt erst möglich wird (Harris, 2016).
Zu der Zeit, als meine Frau und ich unseren Sohn erwarteten, begann ich mich zu fragen, was ich mir unter Vaterschaft vorstelle und was das für meine eigene Rolle bedeutet. Während dieser Überlegungen stieß ich auf einen Beitrag von Anja Wagner-Kollerics, einer österreichischen Gesundheitspsychologin und Elternberaterin, der mich zum Nachdenken anregte (Wagner-Kollerics, 2019). Ich realisierte, dass darin viel mehr steckte als nur eine Sicht auf Elternschaft. Nein, alles, was ich dort las, ließ sich auch sehr gut auf die Arbeit einer Führungskraft anwenden.
Denn wenn Sie alle familienbezogenen Begriffe im Originaltext ersetzen, erhalten Sie aus meiner Sicht eine ziemlich gute Zusammenfassung dessen, was Führung unabhängig vom konkreten unternehmerischen Handeln oder Zweck ausmacht:
„Führungskraftsein ist ein großes Abenteuer. Sich der Verantwortung für Mitarbeitende zu stellen, diese zu begleiten, präsent zu sein, (…) Belastungen zu stemmen, eigene Bedürfnisse hintenanzustellen … Mitarbeitende (…) zu begleiten, ist ein Abenteuer und eine sehr individuelle Sache. Keine mitarbeitende Person gleicht einer anderen, keine Führungskraft gleicht einer anderen. Diese Einzigartigkeit des eigenen Teams zu umarmen und die Arbeit als Team zu gestalten, die genauso einzigartig ist, wie die Mitarbeitenden, darf der Fokus der Aufmerksamkeit (von Führung) sein. Unsicherheiten in der Führung, Fragen zur Entwicklung (der Mitarbeitenden), Konfliktsituationen an der Tagesordnung, das sind Themen, die völlig unabhängig von der Form der Zusammenarbeit jede Führungskraft immer wieder beschäftigen. Kein Tag im Leben mit Mitarbeitenden gleicht dem anderen, alles ist in ständiger Veränderung. Führungskräfte sind immer wieder stark gefordert, diesen Veränderungen zu begegnen. (…) Nicht die Form der Zusammenarbeit entscheidet, ob Mitarbeitende sich gut entwickeln können, sondern wie gut ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Zeit und Zuwendung können Mitarbeitende in jeder Form der Zusammenarbeit erfahren.“
Zugegeben: Eine Partnerschaft und eine Familie verfolgen schon per definitionem andere Zwecke als ein Unternehmen oder ein Betrieb (Temming, 2021). Gleichwohl lassen sich „führen“ und „geführt werden“ – genau wie bei Partnerschaft und Elternsein – auf die Befriedigung von Bedürfnissen der Beteiligten reduzieren (Johns & Saks, 2017, Kapitel 9). Zwar sind stets alle Akteure an diesem Prozess beteiligt, doch je nach Kontext übernimmt mal die eine Seite die Führung, mal die andere.
Zentrales Element erfolgreicher Führung ist daher ein ausgezeichneter Rapport. Diesen herzustellen und aufrechtzuerhalten ist die primäre Aufgabe jeder Führungskraft. Allerdings, so zeigt zumindest meine Erfahrung, sind viele Führungskräfte mit dieser Aufgabe scheinbar völlig überfordert. Aussagen wie „Was soll ich denn eigentlich noch alles tun? Schließlich sind wir auf der Arbeit und nicht im Wohlfühlpalast!“ habe ich mehr als ein Mal gehört.
Doch nicht nur dieses Beispiel zeigt, wie häufig sich Manager aus der Verantwortung stehlen, indem sie „Führung outsourcen“. So hat sich in den letzten Jahren in vielen verstaubten Köpfen die Vorstellung eingenistet, dass früher alles besser war, und es einzig der Corona-Pandemie geschuldet ist, dass Beschäftigte heute mit schier unmöglichen Wünschen an die Türen ihrer Bosse klopfen: Vollzeit-Homeoffice, Forderungen nach einer 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, Workation-Optionen, usw. Manche Führungskräfte sehnen sich mit dem Ende der pandemischen Lage nach der „schönen, heilen Vor-Corona-Welt“ zurück, schließlich war zu dieser Zeit das „Order Mufti“-Prinzip in der Führung noch weit verbreitet.
Und es stimmt: In den letzten Jahren hat sich - angetrieben durch den Fachkräftemangel und die Corona-Pandemie - das Pendel der Macht auf dem Arbeitsmarkt immer weiter in Richtung der Arbeitnehmenden bewegt. Dort, wo hochqualifizierte Beschäftigte über viele Jahre hinweg nahezu jede Kröte schlucken mussten, gibt es heute immer mehr Branchen, in denen die Beschäftigten ihren Chefs die Bedingungen quasi diktieren können. Dass das so ist, wird (übrigens ohne ausreichende wissenschaftliche Belege) allzu gerne der sog. „Generation Z“ in die Schuhe geschoben – der Alterskohorte der in den späten 1990er-2000er Jahren Geborenen (Indeed Editorial Team, o. J.; tagesschau.de, 2023; PwC, 2020).
Doch dass es einmal genauso kommen würde, war tatsächlich schon länger abzusehen - und zwar bereits zu einem Zeitpunkt, als die „Generation Z“ im wörtlichen Sinne noch in den Kinderschuhen steckte. Im Jahr 2001 veröffentlichte das Gallup Institute erstmalig den „Gallup Engagement Index“ für Deutschland. In dieser jährlich durchgeführten Studie wird seither erhoben, wie stark die emotionale Bindung von Beschäftigten an ihre Arbeitgeber ist (Tödtmann, 2017a; Tödtmann, 2017b). Die Studien zeigen seit über zwanzig Jahren ein mehr oder weniger konstantes Ergebnis:
„Knapp ein Fünftel von Deutschlands Belegschaft ist nicht emotional an ihren Arbeitsplatz gebunden. (…) Das niedrige Niveau an emotionaler Bindung fördert die Bereitschaft der deutschen Arbeitnehmenden, Arbeitgeber zu wechseln. Dies ist eine große Herausforderung für deutsche Unternehmen, die aktuell mit einem Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen haben. (…) Dies kostet die deutsche Wirtschaft durch Produktivitätseinbußen jährlich zwischen 118,1 und 151,1 Milliarden Euro.“ (Gallup, 2022)
Konkret beweist dieser Langzeittrend eigentlich nur eins: Die Chefetage macht vielerorts ihren Job nicht richtig! „Finger Pointing“ in Richtung der „Generation Z“ mag einfach sein, ist für viele Führungskräfte aber bloß eine willkommene Ausrede, um die Augen vor dem eigentlichen Problem zu verschließen: Der eigenen Unfähigkeit, dem Personal so zu begegnen, dass es sich umgarnt, wertgeschätzt, begehrt und gefördert fühlt.
Doch es gibt ein Licht am Ende des Tunnels, denn immer mehr Unternehmen sind alarmiert, Führungskräfte zusehends verunsichert. Das Bewusstsein dafür wächst, dass wir den Herausforderungen von heute nicht mit den Instrumenten von gestern begegnen können. Doch was muss geschehen, damit die Risiken von unternehmerischem Scheitern in einer stetig zunehmenden VUCA-Welt eliminiert werden können, während an anderer Stelle der Kampf um begrenzte Budgets und Personalressourcen tobt? Wie können wir Unternehmen und Führungskräfte so aufstellen, dass sie trotz des immer größer werdenden Veränderungsdrucks richtig aufgestellt werden? (Koch, 2021)
Aus meiner Sicht gibt es ein einfaches und simples Rezept, das anders als Viele vermuten mögen, noch nicht mal viel kostet. Führungskräfte brauchen in dieser immer stärker globalisierten und dynamischen Welt einen gut gefüllten Werkzeugkasten. Und um in diesem Bild zu bleiben: Mein Werkzeugkasten zeichnet sich durch Werkzeuge verschiedener Art und Größe aus, in Abhängigkeit von Zweck und Ziel. Diverse Hammer, unterschiedliche Bohrer für unterschiedliche Untergründe, Sägen, Feilen und Raspeln – mal mit gröberer Zahnung, mal feiner.
Was ich damit sagen will: Im Werkzeugkasten einer Führungskraft werden strategische Kompetenz und die Fähigkeit, komplexe Charts zu lesen und Kennzahlen zu interpretieren, zunehmend zweitrangig. Die Achillesferse der Führungskraft von heute liegt in mangelndem psychologischen Know-how (Steiger & Lippmann, 2013). Hier müssen wir also aufstocken!
Auch wenn Menschen grundsätzlich nach Autonomie als Teil der menschlichen Existenz streben – und das heute mehr denn je -, Führung bleibt ein existenzielles Bedürfnis von Menschen im sozialen Kontext. Denn Führung bedeutet auch, Ordnung ins Chaos zu bringen. Dieser Zustand, einst von Jean-Jacques Rousseau (o. J.) als „Naturzustand“ oder „Krieg aller gegen alle“ bezeichnet, lässt sich mehr oder weniger deutlich in jeder gruppendynamischen Konstellation beobachten und führt zu etwas, was Bruce Tuckman als den Übergang von der „Storming“-Phase in die „Norming“-Phase beschrieben hat – einen Zustand, in dem sich eine Gruppe oder ein Team aus einer konfliktären Findungsphase heraus in eine erste Phase von Struktur, Ordnung und Regeln begibt (Tuckman, 1965).
Doch anders als bisher, stehen heute eben nicht mehr Regeln und einseitige Ansagen aus hierarchisch-begründeter Macht im Fokus. Die „transaktionale Führung“ hat – zumindest in Branchen mit hoher Akademisierung – als alleiniger Führungsstil weitgehend ausgedient. Zum Handwerkszeug einer jeden Führungskraft gehört heute ein sog. „Führungskontinuum“, das nicht nur „transformationale“ Räume eröffnet. Nein, die Führung des 21. Jahrhunderts bietet Platz für emotionale Bedürfnisse, gibt Gesundheit, Wohlbefinden und psychologischer Sicherheit einen höheren Stellenwert und investiert nicht nur in aktives, sondern auch in empathisches Zuhören (Gratton, 2011, 2022, 2022; Gratton et al., 2012; london.edu, (2010); Gratton, o. J.).
Nur so lassen sich vollumfänglich Potenziale heben (Judge & Piccolo, 2004), bahnbrechende Innovationen erzeugen und Stolpersteine überwinden (Richter, 2019). Es braucht einen fundamentalen Kulturwandel, in der die propagierten Werte und Normen einer Organisation auch von „denen da oben“ vorgelebt werden. Eine Unternehmenskultur, in der Führungskräfte und Mitarbeiter gemeinsam Erfolg gestalten (Pellny, 2019).
Jedes Unternehmen benötigt daher verschiedene Typen von Führungskräften (Kraus, 2015; Kotter et al., 2021). Doch diese Notwendigkeit scheint vielen Unternehmen nicht bewusst zu sein. Wie sonst lässt es sich erklären, dass eine systematische Führungskräfte-Entwicklung auf Basis „integrierter Prozessmodelle“ und individuellen Persönlichkeitseigenschaften kaum irgendwo zu finden ist? (vgl. dazu u.a. (Antonakis et al., 2017; Derue et al., 2011, 2011; Judge & Piccolo, 2004; Tuncdogan et al., 2017; Weber, 2009; Yukl, 2012))
Leader werden häufig als solche geboren (Antonakis et al., 2012; Derue et al., 2011). Ob man dieser Ansicht nun tatsächlich folgt oder nicht: das bedeutet noch nicht automatisch, dass sich diejenigen von uns, die vom Schicksal nicht mit den passenden Persönlichkeitseigenschaften ausgestattet wurden, ihrem Schicksal einfach hingeben müssen. Denn alles, was Sie benötigen, können Sie lernen!
Abb. 1: Die vier Aspekte der emotionalen Intelligenz (Eigene Darstellung nach Goleman 2005)
An dieser Stelle schließt sich der Kreis. Ganz zu Beginn postulierte ich „Wer führen will, muss erst mal folgen“, um durch „Pacing“ ins „Leading“ zu kommen. Pacing erfolgt aber nicht ausschließlich auf körperlicher Ebene; es gibt auch emotionales Pacing, also das emotionale Angleichen und Spiegeln der Gefühlszustände des Gesprächspartners. Das schafft ein Gefühl von Vertrautheit und Verbundenheit. Emotionales Pacing erfordert jedoch emotionale Intelligenz und Einfühlungsvermögen bzw. Empathie.
Emotionale Intelligenz beschreibt dabei ein Konzept, das Daniel Goleman in den 90er Jahren an der University of New Hampshire entwickelte (Goleman, 2005). Es werden vier Aspekte der emotionalen Intelligenz unterschieden (siehe Abb. 1).
Wer emotionale Intelligenz besitzt, ist aber noch nicht automatisch empathisch. „Unter Empathie versteht man das einfühlende Verstehen, das nichtwertende Eingehen, also das echte Verständnis einer Person“ (Rogers et al., 2015). Es geht um einen Vorgang, in dem die eine Seite genau die Gefühle und persönlichen Bedeutungen spürt, die die andere Seite erlebt, und dieses auch mitteilt. Im Idealfall steigt die eine Seite so tief in das „Modell der Welt“ der anderen Seite ein, dass nicht nur Bedeutungen geklärt, sondern auch unbewusste Prozesse in dieser inneren Welt verstanden werden können. Diese innere Welt besteht aus Gefühlen, Empfindungen und mit Wertungen verbundenen Erfahrungen und Wahrnehmungen. Nur wer erkennt, dass er in der Tiefe gehört wurde, also mit seinen Gedanken und Gefühlen angenommen wird, kann sich selbst entwickeln.
Abb. 2: Das Eisbergmodell (Eigene Darstellung nach Freud)
Anders als im ursprünglich von Rogers beschriebenen therapeutischen Setting ist es zwar nicht Aufgabe der Führungskraft, diese Gefühle, Empfindungen und Wertungen zu bearbeiten. Die Führungskraft sollte sich dessen aber bewusst sein, denn Störungen auf dieser Ebene überlagern immer die bewusste, rationale Ebene (vgl. dazu das Eisbergmodell nach Sigmund Freud). Von daher gilt auch hier: Störungen haben Vorrang!
Eine empathische Führungskraft ist also stets darum bemüht, die geführte Person in ihrem Erleben und allen damit verbundenen Werthaltungen, Motiven, Neigungen, Interessen Wünschen und Ängsten zu verstehen.
Abb. 3: Acht Stufen der emotionalen Kompetenz (Eigene Darstellung nach Saarni 1999)
Carl Rogers hat in diesem Zusammenhang eine zentrale These aufgestellt. Seiner Auffassung nach haben viele Menschen ihre Gefühle abgespalten und leben so, wie andere es von ihnen erwarten. Daher legen wir, wenn wir an unserer Empathiefähigkeit arbeiten wollen, das Fundament bei uns selbst.
Ein hilfreiches Modell zur Entwicklung der eigenen emotionalen Kompetenz Carolyn Saarni mit ihrer achtstufigen Anleitung zur Ausbildung von emotionalen Kompetenzen (Saarni, 1999).
Die US-Psychologin Carolyn Saarni gibt eine Anleitung zur Ausbildung von insgesamt acht emotionalen Kompetenzen (siehe Abb. 3).
Übrigens: Der direkte Nutzen von empathischer Führung lässt sich messen
Dass sich das Investment in die eigene emotionale Kompetenz und die Entwicklung von Empathie für Unternehmen und Führungskräfte lohnt, ist wissenschaftlich belegt. Nicht nur die üblicherweise in Unternehmen und Organisationen durchgeführten EXIT-Interviews oder Mitarbeiterbefragungen liefern dazu wichtige Erkenntnisse, auch die Psychologie liefert einen reichen Fundus. So erforscht beispielweise die Psychologie-Professorin Barbara L. Frederickson seit Jahren das Wirken positiver Emotionen.
Sie belegt beispielsweise, dass unsere Wahrnehmung, Denkleistung und Kreativität durch das Einwirken positiver Gefühle gesteigert wird, so dass Versuchspersonen, die etwas Gutes fühlten, stärker motiviert wurden und sich deren Leistungsbereitschaft erhöhte. Diese Forschungsergebnisse zeigen, dass Unternehmen nicht unbedingt immer das Portemonnaie öffnen müssen, um Motivation zu steigern und Potenziale zu entfalten. Manchmal reicht einfach auch „ein gutes Gefühl“.
Unternehmen sollten endlich damit beginnen, in die emotionale Intelligenz von Führungskräften zu investieren, wenn sie sich in einer dynamisch verändernden Welt langfristig behaupten wollen. Denn: Vertrauen ist und bleibt die wichtigste Währung in der Geschäftswelt. Genau wie Kunden darauf vertrauen müssen, dass Unternehmen maßgeschneiderte Lösungen für kundenspezifische Probleme zu einem herausragenden Preis-Leistungs-Verhältnis bieten, wollen auch Beschäftigte in ihre „Bosse“ vertrauen - in Krisenzeiten und in Veränderungsprozessen mehr denn je. Denn Veränderung raubt Sicherheit. Und fehlende Sicherheit führt zu Stress.
Führung muss also Vertrauen darin schaffen, dass die Führenden die Geführten im Blick behalten und sie „heil“ zum Ziel führen - genau wie ein Kapitän, der das Schiff durch eine stürmische See in den rettenden Hafen führt!
Damit dies gelingt, kommen „echte Führungskräfte“ – gemeint sind damit die Führungskräfte, die sich nicht nur als Manager verstehen, sondern die auch „Leader“ sein wollen – nicht umher, ihren Werkzeugkoffer um grundlegend psychologisches Know-How zu erweitern.
Doch das ist nur der Anfang: Die Führung der Zukunft wird generell empathischer werden müssen. Carol Saarnis Konzept der acht Stufen legt den Grundstein für ein gesundes Führungsverständnis im 21. Jahrhundert. Denn am Ende ist jede Führungskräfteentwicklung tatsächlich nur eins: Persönlichkeitsentwicklung!
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