Struktur-Mindset-Modell

Strukturen prägen Mindset – aber geht es auch anders? Mit dem Struktur-Mindset-Modell Transformationen bewusst gestalten

Foto eines Team-Meetings am Tisch | Struktur-Mindset-Modell

- Tiba Magazin 2021 -

Unternehmen wünschen sich oftmals mehr Agilität, verändern aber nicht die Strukturen, um den Weg zu agilem Arbeiten zu ebnen. Lesen Sie, wie Sie mithilfe des Struktur-Mindset-Modells Hemmnisse identifizieren und auflösen können. Unternehmen bremsen sich selbst aus. Wer kennt das nicht? Überall wünschen sich Unternehmen mehr Agilität. Sie wollen sich „agil transformieren“ und verhindern gleichzeitig unbewusst das Entstehen von agilem Mindset. Das führt oft zu Frustration auf Seiten der Mitarbeitenden (unrealistische Erwartungen) sowie auf Seiten des Managements (Ineffizienzen).

In unseren Beratungsaufträgen und Trainings und v.a. in der Begleitung der Agile Coaches erleben wir immer wieder Situationen, in denen sich die Unternehmen selbst ausbremsen. Ein Kunde sagte in diesem Kontext einmal:{ "detail": 0, "format": 3, "mode": "normal", "style": "", "text": " ", "type": "text", "version": 1 }„Die Macht der Struktur der Organisation drückt Dich immer wieder automatisch in eine nicht agile Richtung“. Wir haben versucht, die Ursachen davon zu verstehen. In diesem Artikel stellen wir einen möglichen Lösungsansatz vor, den wir in enger Zusammenarbeit mit unseren Kunden entwickelt haben.

Dan-Felix Sorgler

Alexander Koschke

Wechselwirkungen zwischen Struktur und Mindset zeigen die Ursachen auf

Um die Ursachen zu verstehen, ist es nötig, die agilen Transformationsinitiativen ganzheitlich zu betrachten. Ein sehr hilfreiches Modell dafür ist das integrale („Vier-Quadranten“-) Modell von Ken Wilber. Es zeigt vier Perspektiven auf, aus denen ein Thema betrachtet werden kann, um es „integral“, also ganzheitlich, begreifen und somit auch gestalten zu können.

Abb.1: Vier Quadranten (eigene Darstellung angelehnt an das integrale Modell von Ken Wilber)

Die Perspektiven unterscheiden sich in individuell und kollektiv, sowie innerlich („unsichtbar“) und äußerlich („sichtbar“). Daraus ergeben sich die folgenden vier Perspektiven:

  • Individuelles Mindset bzw. Bewusstsein (innerlich)
  • Individuelles Verhalten bzw. Fähigkeiten (äußerlich)
  • Kultur (kollektiv, innerlich)
  • Struktur (kollektiv, äußerlich).

Das Besondere an diesem Modell ist, dass nicht, wie klassisch oft üblich, nur die „sichtbaren“ Elemente einer Organisation (Verhalten und Struktur) betrachtet werden, sondern auch die „unsichtbaren“ Elemente, wie das Mindset oder die Kultur, berücksichtigt werden.

Mit Hilfe dieses Ansatzes lassen sich die Ursachen des eigenen Ausbremsens auf einmal verstehen. Denn durch die verschiedenen Perspektiven auf ein Thema und deren Dynamiken lassen sich Wechselwirkungen zwischen den „sichtbaren“ und den „unsichtbaren“ Aspekten erkennen: So kann die Ausbildung einer gewissen Kultur in einem Unternehmen mit der Existenz von bestimmten Strukturen in Zusammenhang gebracht werden. Gleichzeitig sind etablierte Strukturen ggf. auch Ausdruck eines bestimmten, eventuell inzwischen nicht mehr hilfreichen, Mindsets.

Anhand der folgenden Beispiele wird deutlich, an wie vielen Stellen in Unternehmen bestehende Strukturen - meist unbeabsichtigt - ein unerwünschtes Mindset fördern:

Beispiel 1
Für einen unserer Kunden war es immens wichtig, bestimmte Prozess-Standards einzuführen, um von seinen Kunden weitere Aufträge zu bekommen. Spezielle Rollen wurden definiert, Task-Forces eingerichtet, und dennoch läuft die Umsetzung bestenfalls schleppend. Ein Blick auf das interne Bonussystem gibt eine einfache Erklärung: Während das Erreichen gesetzter Projektziele eine hohe materielle Vergütung mit sich bringt, hat das Umsetzen der neuen Standards für viele Mitarbeitende keinerlei Auswirkung auf deren Einkommen, was zu innerer Zerrissenheit und einem vermeintlich fehlenden „agilen Mindset“ führt.

Beispiel 2
Im Rahmen großer Unternehmensveränderungen wollen oder müssen viele unserer Kundinnen und Kunden agiler werden. Dabei nutzen sie oft Scrum und führen u.a. die Rolle des Scrum Masters ein. Scrum Master haben explizit die Aufgabe, eine produktive Arbeitsweise zu ermöglichen und Teams vor zu vielen Störungen von außen zu schützen, damit diese ihren „Job“ machen und ihre Ziele in der vereinbarten Zeit erreichen können. Damit Scrum Master wirkungsvoll arbeiten können, brauchen sie ein hohes Maß an Autonomie und zugleich eine einflussreiche Stellung im Unternehmen. In der Praxis sind sie jedoch oft weiterhin unterhalb ihres Linienchefs/ihrer Linienchefin aufgehängt und haben nur sehr wenig abteilungsübergreifenden Einfluss. Dadurch können sie ihren Job kaum erfolgreich umsetzen, und die Teams haben nur wenig Chancen, eine wirklich andere Arbeitsweise zu entwickeln. Wenn die Transformation dann keine Früchte trägt, werden „Schuldige“ gesucht, die agile Vorgehensweise kritisiert oder dem Team und dem Scrum Master mangelndes Engagement vorgeworfen.

Beispiel 3
Ein alltäglicheres Beispiel ist der Meeting-Kontext. Wer ein Meeting einberuft, wünscht sich in der Regel, dass die Teilnehmenden voll präsent sind und sich aktiv einbringen. Zugleich wird das „Wozu“, der Sinn und Zweck des Treffens und welchen Beitrag die Teilnehmenden haben, in der Einladung gar nicht oder nicht klar genug kommuniziert. So nehmen Menschen an Meetings teil, ohne zu wissen, warum. Dies führt natürlicherweise zu geistiger Abwesenheit, offenen Laptops und parallelem Bearbeiten von E-Mails und damit zu wenig offenem Mindset.

Diese Beispiele könnten wir unendlich weiterführen. Wichtig ist dabei zuallererst, dass alle Beteiligten diese Diskrepanzen und die Wechselwirkungen von Struktur auf Kultur und Mindset in ihrem eigenen Umfeld erkennen und ein Problembewusstsein dafür aufbauen, um dann den nächsten Schritt anzugehen.

Abb. 2: Das Struktur-Mindset Modell (eigene Darstellung)

Wie können Mindset-fördernde Strukturen bewusst gestaltet werden?

Im Kontext von Agilität stellt sich immer wieder die Frage, ob und wie sich Strukturen bewusst so gestalten lassen, dass das gewünschte Mindset und eine kollaborative Kultur entstehen können. Dazu haben wir folgendes Modell entwickelt, das man als Agile Coach, Führungskraft und sogar als Mitarbeitender anwenden kann, um das Arbeitsumfeld aktiv gestalten zu können.

Das Vorgehen besteht aus mehreren Schritten, die im Rahmen einer ganzheitlichen Agile Coach-Ausbildung einzeln erlernt und in diesem Vorgehen gesamtheitlich angewendet werden.

Konkrete Schritte, um Strukturen zu gestalten

1. Wünsche / Träume
Mit Hilfe von Embodiment-Methoden werden aktuelle Wünsche und Träume der Beteiligten hervorgebracht und verbalisiert. Ziel ist es, dass die Mitarbeitenden erkennen, ihre Empfindungen und Energieorte zu deuten und herauszufinden, inwieweit sie veränderungsbereit sind.

2. Spannungen / Herausforderungen
Anschließend werden in einem Realitätscheck die bestehenden Spannungen identifiziert, die es aktuell nicht ermöglichen, diesen Wunsch/Traum zu realisieren. Hier gilt es, wertfrei und ungeschönt wahrzunehmen, wie der Unternehmensalltag aktuell wirklich abläuft.

3. Hemmnisse durch die aktuelle Struktur
Der Fokus wird nun auf die Struktur gelegt: Welche aktuellen strukturellen Gegebenheiten sorgen für die wahrgenommenen Spannungen und führen damit durch Wechselwirkungen zum unerwünschten eigenen Ausbremsen? (vgl. Beispiele oben)

4. Ideen für andere Strukturelemente
Mit Hilfe einer umfassenden Strukturelemente-Sammlung aus verschiedensten agilen und klassischen Management-Methoden, Frameworks und Skalierungsansätzen werden sinnvolle und passende Strukturelemente, die zum veränderten Verhalten, Kultur oder Mindset führen könnten, identifiziert und ausgewählt.

5. Erhoffte Auswirkungen
Durch Prototyping wird gedanklich oder in der Realität getestet, ob der Ansatz zu den erhofften Auswirkungen führt und welche weiteren, ggf. auch unvorhergesehenen bzw. nachteilige Konsequenzen dieses Vorgehen hat. Bei Bedarf können dann auch noch iterativ weitere Ansätze ausprobiert werden, bis sich der Realitätscheck stimmig anfühlt.

Weitere Schritte, die eine nachhaltige Umsetzung unterstützen könnten:

6. Unterstützung / Ressourcen (Wen bräuchte es? Wer könnte diese Idee nachhaltig umsetzen?)
7. Persönlichkeitsstruktur (Was bewegt diese Person? Was braucht sie?)
8. Pitch (Mutiges Ansprechen & Einladung zum gemeinsamen Gestalten und Verankern)

Mit Hilfe dieses Vorgehens lässt sich die oft unbewusste Erkenntnis, dass „Strukturen materialisiertes Mindset“ sind, bewusst nutzen und diesmal zum Positiven im Sinne der Agilisierung der Organisation einsetzen.

Wie kann das konkret anhand aussehen? Ein Praxisbeispiel

Ein Kunde mit Leitungsfunktion wünscht sich, dass die Mitarbeitenden an seinem Standort mit mehr Freude und Freiwilligkeit arbeiten und sich stärker selbst organisieren.
Gleichzeitig erlebt er, dass viele Mitarbeitende unzufrieden sind, ihre Arbeit als Last empfinden und eher Vorgaben erfüllen, als eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen.

Der Blick auf die aktuelle Struktur zeigt auf, dass die Mitarbeitenden am Standort in hohem Maße von ihren Linienvorgesetzen verplant und gesteuert werden, obwohl sie eigentlich als Scrum Master in agilen Teams unterstützen sollen. Die Mitarbeitenden am Standort wissen das zwar, haben jedoch nicht den notwendigen Einfluss, um die Teams während der Sprints zu schützen. So entsteht kein funktionierender Arbeitsmodus in den Teams - Anstatt cross-funktionaler Zusammenarbeit stehen so die Interessen der Linie im Vordergrund. Die Vorteile der agilen Arbeitsweise entstehen nicht, die Projekte werden nicht effektiver und schneller und es entsteht der Eindruck, die agile Arbeitsweise wäre unpassend und ineffizient.

Mit Hilfe der weiteren Schritte des Struktur-Mindset Modells und des entstehenden Problembewusstseins resultiert die Erkenntnis, dass sich strukturell etwas ändern muss, um die agile Kultur und damit die agile Arbeitsweise zu fördern.

Die Scrum Master und Agile Coaches müssen mit Hilfe verschiedener Strukturelemente u.a. aus dem Skalierungsbereich (z.B. klare Rollendefinition und -abgrenzung, verbesserter gemeinsamer Priorisierung, optimiertes PI-Planning, etabliertes Portfolio-Management und eine starke Agile Community) mit mehr funktionalem Einfluss ausgestattet werden, sodass sie auch mit Führungskräften mindestens auf Augenhöhe sprechen und diese, wenn nötig, einbremsen und das Team schützen können.

Bei Transformationen früh auf eine stimmige Stellung zu achten und die dementsprechenden Rollen mit der notwendigen organisationalen Macht auszustatten, braucht Mut und ist zugleich eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation.

Im Zuge der Umsetzung wird neben den Erfolgen auch immer mehr bewusst, wie langwierig der Prozess der Etablierung von agilem Mindset in den bestehenden Strukturen ist und welcher großen Aufgabe die Initiatoren von agilen Transformationen gegenüberstehen.

Das Struktur-Mindset-Modell kann einen hilfreichen Beitrag dazu leisten, die bevorstehenden Aufgaben systematisch anzugehen und die Transformation ganzheitlich voran zu bringen.

Viel Erfolg bei der Umsetzung!