- Tiba Magazin 2018 -
Agiles Projektmanagement hat seine eigenen Regeln. Was aber passiert, wenn diese Prinzipien nicht beachtet werden? In dieser Serie befasst sich unser Experte für Agiles Projektmanagement, Alexander Koschke, mit Stolpersteinen, denen er in Praxis immer wieder begegnet.
Teil 1 (Ausgabe 2018): Destruktion und Demotivation
Teil 2 (Ausgabe 2018): Chaos, Diskussion und Ineffizienz
Teil 3 (Ausgabe 2019): Verzetteln, Ineffektivität und Insolation
Prinzipien sind keine Regeln, sie müssen nicht eingehalten werden. Aber wenn man sie nicht einhält läuft man Gefahr, nicht die gewünschten Ergebnisse bzw. Veränderungen zu erreichen. Natürlich braucht man sich zum Beispiel nicht daran halten, den Sonntag als Ruhetag zu sehen. Man kann inzwischen auch sonntags einkaufen und arbeiten oder an einem beliebig anderen Tag ruhen. Immer mehr Menschen beschweren sich aber gleichzeitig auch über Stress, Überforderung und Burnout und sehnen sich nach Entspannung und Abschalten. Firmen führen Regeln zur Begrenzung der Arbeitszeit ein, schalten eMail-Server nach 18 Uhr ab und bestrafen Mitarbeiter, die diese Regeln verletzen. Man kann es sich aussuchen, Prinzipien entweder freiwillig immer mehr zu leben oder immer mehr Regeln zu etablieren und deren Einhaltung zu kontrollieren und zu sanktionieren.
Dies gilt natürlich auch für die sieben Prinzipien des agilen Projektmanagements: Man muss sie nicht einhalten. Ob man dann aber die gewünschten Ergebnisse erreicht, ist mehr als unwahrscheinlich. Auch wenn es am Anfang schwerfällt und vielleicht in der bestehenden Unternehmenskultur utopisch erscheint, lohnt es sich deshalb, den ersten Weg zu gehen und die Prinzipien Stück für Stück in den Alltag zu integrieren. Warum dies so ist? Lesen Sie selbst!
Wenn die Mitarbeiter keine Passion haben, bei dem was sie tun, keine „willingness to suffer“, wenn sie den Stift fallen lassen, sobald der Chef nicht da ist – dann wird Selbstorganisation nicht funktionieren. Auch ein geschützter Rahmen nützt dann nichts, weil die Mitarbeiter diese Zeit nutzen werden, um sich über die Organisation zu beschweren und zu meckern. Destruktive Gedanken werden in der Gruppe so noch verstärkt.
Selbstorganisation funktioniert dann nicht, weil Mitarbeiter nur Dinge tun werden, die zu ihrem eigenen Vorteil und meistens zum Schaden der Firma sind – beispielsweise teuer Essen gehen, viel Alkohol trinken und sich währenddessen über die Firma lustig machen und sich amüsieren, wie „gut“ doch das neue PM 4.0 ist.
Dadurch bekommen alle die Führungskräfte und Manager recht, die immer schon behauptet haben, dass Selbstorganisation nicht funktioniert, dass der Mensch von Natur aus faul ist und dass sie sehr wohl kontrollieren müssen. Sie sehen sich wie immer in der Pflicht, einzuspringen und den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen.
Somit kann der Kunde auch nicht mit kreativen Lösungen aus dem Team überrascht werden. Er sieht die Zeit, die er in die regelmäßigen Reviews steckt, als Verschwendung und will lieber wieder zu klar formulierten und vertraglich fixierten Anforderungen zurück.
Ohne geschützten Rahmen werden Mitarbeiter langfristig demotiviert. Es wird von ihnen erwartet schnelle, kreative Lösungen zu liefern. Gleichzeitig werden sie aber von eMails, kurzfristigen Anfragen, Meetings, Reportings und sonstigem Tagesgeschäft und Bürokratie überschüttet, von der Arbeit abgehalten oder ständig dabei unterbrochen.
Je weniger geschützten Raum und Zeit für Kreativität die Mitarbeiter haben, desto geringer wird der Output und desto länger wird die Bearbeitungszeit (vgl. Littles Law: Durchlaufzeit = WIP / Durchsatz). Genau das Gegenteil von dem, was sich das Management erwartet. Die Folge ist meist noch mehr Druck, mehr Kontrolle, mehr Fehler … Ein Teufelskreis, der bei den Mitarbeitern, die eigentlich wollen, aber nicht gelassen werden zu großer Demotivation führt.
Unter diesen Bedingungen kann weder Vertrauen noch Kreativität entstehen, zwei Grundvoraussetzungen für ein echtes Team und Innovation. Echte Innovationen und bahnbrechende Neuerungen, die dann wirklich zu wesentlicher Zeit- und Aufwandsreduktion führen würden, sind oft das Ergebnis vieler gescheiterter Versuche.
Wer keine Zeit hat, verschiedene Dinge auszuprobieren oder wer Angst vor Fehlern hat (vgl. Fehlerkultur), wird da leider nie hinkommen. Wer zu stark versucht, Risiken zu vermeiden, geht letztendlich das größte Risiko von allen ein („risky is the new safe“). Eine Gruppe noch so talentierter Mitarbeiter, die keine Zeit für Socializing und Storming hat, wird nie zu einem echten Team und damit nie zu Höchstform auflaufen.
Auch die Einführung von agilen Arbeitsmethoden braucht Zeit. Wer es nicht aushält, die neuen Bergschuhe einzulaufen und gleich bei der ersten Blase auf die alten Schuhe zurückgreift, wird irgendwann ohne Schuhe dastehen …
In der Praxis passiert es immer wieder, dass Unternehmen versuchen, den schnellen Weg zu gehen. Sie wollen durch die Einführung einer neuen Methode schnell Ergebnisse haben. Das Aufzeigen der Konsequenzen, die passieren, wenn zwar die Methode umgesetzt wurde, aber das Mind Set und die Prinzipien dahinter nicht verstanden bzw. berücksichtigt werden, soll die Wichtigkeit einer nachhaltigen, bedachten Einführung bewusst machen. Das genau ist der Unterschied zwischen Aktionismus und echter Weiterentwicklung.