Wir-Kultur

New Ways of Working durch eine teamorientierte Zusammenarbeit: Wie Führung den kulturellen Wandel von der Ich- zur Wir-Kultur stärken kann

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- Tiba Magazin 2023 -

Home-Office, flexible Arbeitszeiten, 30-Stunden-Woche – New Work ist spätestens seit der Corona-Pandemie in aller Munde. Dabei sind die oben genannten Maßnahmen nur die Spitze des Eisbergs, vielmehr steckt hinter New Work ein umfassender kultureller Wandel in der Arbeitswelt. Eins ist sicher: Führung muss völlig neu gedacht werden in der modernen Arbeitswelt.

Corinna A. Dalnodar

Seit der Covid-19-Pandemie ist ein erheblicher Ruck durch die Unternehmen gegangen. Der leise Ruf nach einer neuen Form der Führung und einem kulturellen Wandel in der Unternehmensform schallt lauter denn je. Unterschiedliche Konzepte von neuer Fehlerkultur und kollektiver Entscheidungsfindung über Holocracy bis zur Überforderung der Mitarbeiter:innen durch zu viele Freiheitsgrade bestimmen die Diskussion. Dabei fällt immer wieder der Begriff „New Work“. Ein Begriff, der vom amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann (1990) entwickelt wurde. Digitalisierung, Globalisierung und künstliche Intelligenz führen zu neuen Möglichkeiten in der Ausführung von Arbeit und stellen Unternehmen vor völlig neue Herausforderungen. Für jedes Unternehmen gestalten sich diese unterschiedlich, eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen die Unternehmen sich mit den Möglichkeiten von New Work auseinandersetzen.  

Dabei ist vor allem die Führung von Unternehmen gefragt. Denn es ist nicht allein ausreichend, einzelne Maßnahmen im Unternehmen zu etablieren. Vielmehr ist ein kompletter, kultureller Wandel, ein Paradigmenwechsel, ein Umdenken im gesamten Unternehmen notwendig, um New Work langfristig und stabil einzuführen. Change Management und Kompetenzentwicklung müssen diesen kulturellen Wandel in seiner unternehmensspezifischen Diversität begleiten. Vor allem in der VUKA-Welt – den Branchen, die volatil, unsicher, komplex und ambivalent sind – muss dieser Paradigmenwechsel sorgfältig die alte Arbeitswelt ablösen. Ansonsten ist die Zukunft dieser Arbeitsbereiche stark gefährdet.  

Von der Ich-Kultur zur Wir-Kultur: Wie New Work zum Paradigmenwechsel führt

Paradigmenwechsel – was genau bedeutet das für Unternehmen? Die Herausforderungen in Unternehmen sind vielschichtiger, komplexer, teilweise schnelllebiger und vor allem oftmals mehrdeutiger geworden. Eine einzelne Führungskraft kann hier gar nicht mehr alle Fäden gleichzeitig in der Hand halten, geschweige denn für alle Situationen die richtige Entscheidung treffen. Deshalb ist es notwendig, weitere Personen mit einzubeziehen und aus einer Ich-Kultur in der Führungsetage eine Wir-Kultur zu entwickeln. Dies ist ein Mammutschritt – denn Verantwortung muss auf mehrere Köpfe verteilt werden, Vertrauen spielt dabei eine besondere Rolle. Aber: Dieser Paradigmenwechsel ist in der heutigen Zeit nicht nur mehr als notwendig, er bringt auch sehr viele Vorteile für die Unternehmen mit sich.  

Wir-Kultur für höhere Kollaboration, Kooperation und Motivation

Denn für eine Wir-Kultur ist sind hoher Grad an Kollaboration sowie interne und externe Kooperation notwendig. Jeder einzelne Mitarbeitende ist dabei gefragt, diese Kultur zu gestalten. Mitarbeitende zeigen eine höhere Motivation, wenn ihnen mehr Vertrauen und Flexibilität entgegengebracht wird. Das wirkt sich wiederum positiv auf deren Arbeit und die Performance beim Kunden aus. Außerdem beeinflusst die Umsetzung von New Work die Mitarbeitersuche, die sich gerade im Spannungsfeld des Fachkräftemangels befindet. Eine gelebte Wir-Kultur, das Bieten von Freiheiten im Arbeitsalltag und das Übertragen von Vertrauen sowie Verantwortung sind für viele potenzielle Mitarbeitende ausschlaggebend für die Entscheidung für einen neuen Arbeitgeber.  

Cultural Change: Welche Werte vertritt das Unternehmen?

Der Paradigmenwechsel – von der Ich- hin zu einer gelebten Wir-Kultur – kann aber nur dann gelingen, wenn sich die Unternehmen mit ihren Werten auseinandersetzen und diese der aktuellen Zeit vollumfänglich anpassen. Es reicht nicht mehr aus, ein Geschäft zu führen allein aus dem Grund, um damit Geld zu verdienen. Vielmehr ist es heutzutage wichtig, welche Sinnhaftigkeit hinter dem Tun steht: Warum tun wir das, was wir tun? Welchen Mehrwert liefern wir für unseren Kunden und unsere Umwelt? So banal diese Fragen auch erscheinen mögen, können sie dennoch bisher nicht in allen Unternehmen konkret beantwortet werden. Doch gerade in der Führung von Mitarbeitenden ist es wichtig, sich den Unternehmenswerten bewusst zu sein und ein attraktives Zukunftsbild zu entwickeln, um einen gemeinsamen Sinn zu kreieren. Das erzeugt Stabilität in einem bewegten Umfeld. Perspektivenvielfalt und die aktive Einbeziehung der Mitarbeitenden eröffnet dem Unternehmen ganz neue Wege, um ans Ziel zu kommen und mögliche Stolpersteine zu erkennen. 

Führen in der neuen Arbeitswelt mit transformalem Leadership

Wenn alle mitreden können, alle Entscheidungen fällen können – wie ist in diesem Umfeld Führen überhaupt noch möglich? Die Führung ist nach wie vor möglich und nötig, sie hat nur andere Facetten. Die Rolle der Führungskraft wandelt sich zum Enabler und Coach. Die Führungskraft von New Work sieht in all ihren Mitarbeitenden das jeweilige Potential und setzt dieses so ein, dass es das Unternehmen aber auch den Mitarbeitenden selbst voranbringt. Dabei nimmt die Führungskraft weniger eine hierarchische als vielmehr eine Position auf Augenhöhe ein. Das Arbeitsergebnis wird vom Team gemeinsam erarbeitet, die Verantwortung kollektiv übernommen, die Lösungen decken ein breiteres Spektrum ab. Die Führungskraft steht dem Team beratend zur Seite, fordert es heraus, motiviert es, um am Ende gemeinsam zu einer diversen Lösung zu gelangen. Damit tritt Führung aus der Ich-Perspektive heraus und betritt die Welt der Wir-Kultur. Man nennt diese Art der Führung auch transformales Leadership. Dabei stehen die Selbstständigkeit des Mitarbeitenden sowie die Motivation zu Engagement, Loyalität und Selbstdisziplin im Vordergrund. Ziele sollen in Eigeninitiative angegangen werden, anstatt diese hierarchisch Schritt für Schritt von der Führungskraft vorgegeben zu bekommen.  

Eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen ist dabei eine sinngetrieben Zukunftsvision, die von den Mitarbeitenden gemeinsam gestaltet und getragen wird. Neben der Sinnhaftigkeit als leitende Komponente haben wir in Organisationen, die New Ways of Working einführen immer auch die Komponenten Vertrauen, Selbstverpflichtung und ein auf Wachstum ausgerichtetes Mindset (Growth Mindset). Psychologische Sicherheit gilt somit als ein Schlüssel für transformales Leadership. Die achtsame Führungskraft ist neugierig und gewillt, Erfahrungen zu machen, die sowohl positiv als auch negativ sein können. Sie sieht es als Lernreise auf dem Weg zu einem bestimmten Ziel an. 

Für weniger Kulturschock: New Work sanft einführen

Heute ist das Leben in Organisation noch immer maßgeblich von Managementprozesse getrieben, deren Realisierung in einer Quantifizierung von Ergebnissen steht. Die Kultur rückt dabei immer mehr in den Hintergrund. Doch nach dem Gedanken der transformalen Führung ist die herrschende Kultur der Dreh und Angelpunkt, an dem New Work gelingt oder nicht. „Kultur isst Strategie zum Frühstück“, so Management-Experte Peter Drucker. Kultur ist damit ein größerer Hebel für den Erfolg als die beste Strategie. Denn was nützt die beste Strategie, wenn es keine geeignete Unternehmenskultur gibt, die diese umsetzen kann. So sieht es auch Kotter: „Kultur verspeist die Restrukturierung zum Nachmittagskaffee. Kulturen neigen zu bemerkenswerter Stabilität und verändern sich nur sehr langsam.“ (Kotter et al., 2022).  

So eine kulturelle Veränderung braucht also vor allem Zeit und professionelle Begleitung. In der Praxis hat sich oftmals eine Einführung in der Organisation in unterschiedlichen Stufen als praktikabel erwiesen. Dabei beginnt man zunächst mit einem Pilotprojekt in einem Umfeld, das für das Thema „New Work“ offen ist. Das sind meist Führungskräfte, die gern anders arbeiten möchten und bereits von einer guten Lernkultur sowie einem kollektiven Arbeiten überzeugt sind. An der Stelle unterstützen Change- und Agile-Coaches die Führungskraft entsprechend der Anforderungen.  

Starke Kulturen führen zu mehr Produktivität

Es zeigte sich, dass starke Kulturen, die im Einklang mit anderen stehen und eine hohe Wertschätzung gegenüber Kunden, Aktionären und Mitarbeitenden zeigen, sehr viel erfolgreicher waren. Die oberste Führungskraft ist weiterhin die wichtigste Person bei Veränderungen, auch bei Kulturveränderungen. Die Veränderung der Kultur erfolgt in kleinen Schritten – dabei werden Erfolge gemeinsam gefeiert und über den positiven Verlauf berichtet. Es etabliert sich langsam, aber stetig eine neue Unternehmenskultur. Der Ansatz der „Radical Collaboration“ hilft, die Kultur in der Organisation schnell, nachhaltig konstruktiv und effektiv zu gestalten. Die Idee dahinter: Menschen arbeiten offen und respektvoll zusammen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Werte wie Vertrauen, Offenheit, Inklusion und Empathie stehen dabei in der Zusammenarbeit im Fokus. Eine gemeinsame Arbeit an der Unternehmenskultur ist ein erster Schritt, um im Unternehmen Akzeptanz für die neue Kultur bis hin zur Begeisterung auszulösen.  

Fazit

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass sich die Arbeitswelt immer weiter von der hierarchischen hin zu einer gemeinschaftlichen Kultur hin entwickelt. New Ways of Working beinhalten vor allem Zusammenarbeit auf Augenhöhe, Vertrauen, Offenheit und Eigenständigkeit. Diese Werte in den Unternehmenskulturen zu entwickeln und vor allem zu verinnerlichen, wird sicherlich eine große Herausforderung der nächsten Jahre.

Literatur

Bergmann, F. (1990). Neue Arbeit (New Work) – Das Konzept und seine Umsetzung in der Praxis. http://ttfreiburg.de/wp-content/uploads/2018/03/Bergmann_Neue-Arbeit_1990.pdf [abgerufen am 09.08.2023]. 

Kotter, J. P., Akhtar, V. & Gupta, G. (2022). Change: Wie Unternehmen in unbeständigen Zeiten herausragende Ergebnisse erzielen. Wiley, 1. Auflage. 

Pinck, A. S. & Sonnentag, S. (2018). Leader Mindfulness and Employee Well-Being: The Mediating Role of Transformational Leadership. 9(3), 884-896. https://link.springer.com/article/10.1007/s12671-017-0828-5 [abgerufen am 09.08.2023]. 

Tamm, J. W. & Luyet, R. J. (2019). Radical Collaboration: Five Essential Skills to Overcome Defensiveness and Build Successful Relationships. HarperCollins, New York. 

Wallner, Dr. H. P. (o. J.). Beidhändige Führungskräfte – Ambidextrie als neue Kompetenz, https://hpwallner.com/beidhaendige-fuehrungskraefte-ambidextrie-als-neue-kompetenz/ [abgerufen am 09.08.2023].