Kundenorientierung ist die grundlegendste Leitlinie im Geschäftsprozessmanagement. Ohne Kundenorientierung können sich Unternehmen nicht am Markt behaupten. Deshalb ist die grundlegendste Leitlinie im Geschäftsprozessmanagement auf jeder Hierarchieebene die konsequente Ausrichtung auf den Bedarf externer und interner Kunden. Bei der Gestaltung der Prozesse sollte jederzeit klar sein, welcher konkrete Mehrwert aus Kundensicht erreicht werden soll. Der Prozess sollte den effizientesten Weg zu diesem Ziel abbilden.
Abb. 1: Das Kano-Modell (Eigene Darstellung)
Geschäftsprozesse müssen dabei vor allem auf den Bedarf der externen (meist kommerziellen) Kunden ausgerichtet sein. Diese gilt es, dauerhaft effizient und effektiv zu erfüllen. Es gibt eine große Zahl gut beschriebener Ansätze, die die strukturierte Orientierung auf den Bedarf dieser Kunden erleichtern. Stellvertretend dafür sei hier neben Methoden und Tools für erfolgreiches Customer-Relationship-Management das von Noriaki Kano 1978 vorgestellte Kano-Modell erwähnt. Es beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Erreichen bestimmter Eigenschaften eines Produktes/Dienstleistung und der erwarteten Zufriedenheit von Kunden.
Der Kundenbedarf bezieht sich dabei nicht nur auf das Endprodukt, sondern in der Regel auch auf den Prozess zu seiner Erfüllung, also auch auf Marketing, Vertrieb und Produktentstehung bis hin zu Rechnungsabwicklung und Service.
Eine Voraussetzung, um den externen Kundenbedarf erfüllen zu können, ist dabei die Orientierung auf die internen Kunden. Deshalb – und um die Ansätze zur externen Kundenorientierung nicht unnötig zu wiederholen – ist im Weiteren die aus der Sicht des Prozessmanagements zweite Kundengruppe im Fokus: die unternehmensinternen Prozesskunden.
Reibungsverluste oder Verschwendung in innerbetrieblichen Abläufen entstehen oft an Übergabepunkten zwischen verschiedenen Rollen, Fachabteilungen oder Geschäftseinheiten; also bei der Übergabe an Prozesskunden.
Eine wichtige Ursache dafür ist, dass Mitarbeiter zwar meist gut für die Aufgaben im eigenen Fachbereich qualifiziert werden, sich aufgrund von Leistungsdruck aber keine ausreichenden Kenntnisse über die im Prozess angrenzenden Bereiche aneignen können. Sie kennen also den Bedarf ihrer internen Prozesskunden nicht genügend und können ihn entsprechend nicht oder nur mangelhaft erfüllen.
Dadurch ergibt sich ein hoher Aufwand für interne Nacharbeit, für klärende Kommunikation, und häufig auch eine redundante, fehleranfällige Datenhaltung. Leistungsdruck und isolierte Maßnahmen zur Effizienzsteigerung in einzelnen Fachbereichen können deshalb sogar eine Verschlechterung der unternehmerischen Gesamtperformance bewirken – beispielsweise, wenn diese Maßnahmen die Kenntnis und Berücksichtigung von prozessual angrenzenden Bereichen zu sehr einschränken. Nicht zuletzt deshalb ist das erste Element der effizienzsteigernden Lean Prinzipien die Definition des Werts aus der Sicht des (hier internen) Kunden.
Folglich ist es extrem wichtig, bei der Gestaltung und Optimierung von Geschäftsprozessen im Unternehmen sicherzustellen, dass der Bedarf der internen Prozesskunden explizit ausformuliert und routinemäßig gemeinsam überprüft wird. Dazu sind rollen- / fach- / bereichsübergreifende Workshops hilfreich. Diese geplante Koordination und auch eine spontane Auseinandersetzung der Mitarbeiter mit der Welt der internen Kunden muss durch die Führungskräfte aktiv und ggf. mit externer Expertise unterstützt werden. Noch intensiver lässt sich das gegenseitige Verständnis durch Co-Location, Hospitanzen oder befristeten Rollentausch fördern.
Turtle-Diagramme beschreiben Prozesse mitsamt ihrem Umfeld auch für fachfremde Kollegen verständlich und ermöglichen deren Diskussion. In der Gesamtkoordination haben sich auch Swimlane-Diagramme bewährt. Dabei ist zu beachten, dass diese eine gewisse Vertrautheit mit der Flowchart- oder BPMN-Symbolsprache voraussetzen und Prozesslaien überfordern können.
Abb. 2: Von isolierten Einzelfasern zum zugstarken Strang (Eigene Darstellung)
Ein weiteres, verbreitetes Problem sind unbedacht festgelegte Leistungskriterien, die nur die Performance innerhalb einzelner Rollen / Fachabteilungen / Geschäftsbereiche berücksichtigen. Man muss sich über Silo-Denken nicht wundern, wenn eine Leistungsbewertung nur Kriterien aus dem jeweils isolierten Bereich heranzieht, da dann natürlich die Priorität auf die „eigene kleine Welt“ gesetzt wird und interne Prozesskunden ggf. das Nachsehen haben.
Die fraglos erforderlichen fachinternen Ziele müssen durch Leistungskriterien ergänzt werden, die die rollen- / fach- / bereichsübergreifende Kooperation und damit vor allem den gesamtunternehmerischen Erfolg honorieren. Dies geschieht, wenn die Leistungskriterien eines Fachbereichs eine klare Prioritätensetzung zur Folge haben, in der das Gesamtwohl des Unternehmens über das Wohl des isolierten Fachbereichs gestellt ist. Daraus ergibt sich im Alltag automatisch ein Interesse am intensiven Austausch mit den internen Prozesskunden, da nur gemeinsam die geforderten Ziele erreicht werden können.
Wie kann nun die Umsetzung der Leitlinie gelingen? Dies zeigt folgendes Beispiel: In einem global arbeitenden, mittelständischen Unternehmen im kundenspezifischen, elektrotechnischen Anlagenbau besteht nach mehreren vorangegangenen M&A-Maßnahmen eine sehr heterogene, über mehrere Standorte in Europa und den USA verteilte Prozesslandschaft. Historisch gewachsene interne Konflikte und Frustration blockieren den offenen Meinungsaustausch. Zusätzlich erschweren Sprachbarrieren die Verständigung. Das Geschäftsergebnis ist in der Folge völlig unbefriedigend und unplanbar.
In vielen Einzelgesprächen und veränderten Abläufen in Regelbesprechungen wird den einzelnen fachlichen Bedarfen zunächst mehr Gehör und Beachtung verschafft. Daraus resultieren zahlreiche eher kleine Verbesserungsmaßnahmen, die sofort umgesetzt werden. Zudem wird der Status Quo der Geschäftsprozesse umfassend dokumentiert und unter strikter Vermeidung von Fehlerzuweisungen geklärt. Innerhalb eines halben Jahres entsteht so genügend Vertrauen und die Bereitschaft für ein komplettes Re-Engineering der gesamten Prozesslandschaft, der zugehörigen Aufbauorganisation und der Kommunikationswege.
In zwei jeweils zweitägigen Workshops, in denen kompetente, langgediente Vertreter aller relevanten Fachbereiche teilnehmen, werden die erforderlichen Prozessschritte vom Auftrag bis zur Fertigstellung einer Anlage umfassend aufgearbeitet. In fachübergreifend gemischten Kleingruppen kann dabei jeder Fachbereich rollierend seinen Bedarf für jeden Prozessschritt einbringen, den Kollegen vorstellen und mit ihnen diskutieren.
Daraus ergibt sich nicht nur ein äußerst tiefgreifendes Verständnis für die Bedarfe der jeweiligen Kollegen, sondern auch umfangreiche Veränderungen und Verschlankungen im Gesamtablauf, da Prozessschritte gänzlich vermieden oder deutlich vereinfacht werden können.
Zudem ergeben sich deutliche Änderungen in der Aufbauorganisation, da Aufgaben durch eine Umschichtung der Verantwortlichkeiten vereinfacht und Abstimmungsbedarf reduziert wird.
Zu guter Letzt wird vereinbart, dass sämtliche beteiligten Fachabteilungen gemeinsam anhand des Gesamtprojekterfolgs in Bezug auf Kundenzufriedenheit, sowie Termin- und Budgettreue bewertet werden. Weitere, abteilungsspezifische Leistungskriterien dienen der Ressourcenplanung, der Qualitätskontrolle und dem Risikomanagement.
Im Ergebnis stehen:
Neben der konsequenten Ausrichtung aller Geschäftsprozesse auf den Bedarf der externen Kunden kann eine fachübergreifende Kenntnis und Abstimmung auf die spezifischen Bedarfe der unternehmensinternen Prozesskunden entscheidend zum Geschäftserfolg beitragen. Leistungskriterien sollten die interne Kooperation darüber hinaus gezielt fördern und fordern.