Prozesse im Fokus: Der PMI® Zertifizierungsstandard hat sich geändert – aus gutem Grund. Denn um auf die Herausforderungen der VUCA-Welt zu reagieren, sind neue Methoden gefragt. Was sich insbesondere im PMBOK® Guide 6th Edition geändert hat, erfahren Sie in diesem Tiba Magazin-Artikel.
Zertifizierungen im Projektmanagement generieren einen vielfältigen Nutzen. Der Gebrauch einheitlicher Terminologien und Taxonomien fördert die Entwicklung eines gemeinsamen Projektverständnisses sowie einer effizienten Kommunikation und Kooperation. Dabei hat sich die Einführung eines zum Beispiel PMI-basierten Projektmanagementstandards für die Entwicklung und das Ausrollen einheitlicher Projektmanagementprozesse im Unternehmen als besonders wertvoll erwiesen. Im Mittelpunkt der Zertifizierungstrainings stehen standard- und unternehmensspezifische Erfolgsmethoden (Best Practices) als unverbindliche Empfehlungen zum idealtypischen Vorgehen in konkreten Projektvorfällen. IPMA®, PMI® und PRINCE2® setzen hierbei unterschiedliche Schwerpunkte, auf die in den letzten beiden Beiträgen im Tiba Magazin bereits hingewiesen wurde.
Das 1969 gegründete Project Management Institute PMI in Pennsylvania vereint mit mehr als 500.000 Mitgliedern in 208 Ländern heute die größte Projektmanagement Community weltweit. Die Gesamtauflage aller Editionen des Referenzwerks „Guide to the Project Management Body of Knowledge“ PMBOK® Guide umfasst mehr als 6 Millionen Exemplare. Die seit 2017 erarbeitete und heute gültige 6. Edition des PMBOK® Guide enthält eine Reihe inhaltlicher und methodischer Veränderungen.
Die Notwendigkeit dieser Veränderungen und der ihnen zugrundeliegenden neuen strategischen Ausrichtungen des PMI ergibt sich aus den Herausforderungen, vor denen die Unternehmen in der sich immer schneller drehenden und verändernden Vuka-Welt heute stehen. Vuka beschreibt nicht nur die Zustände einer Welt, in der meistens nichts vorhersehbar ist und sich alles von einem Tag auf den anderen ändern kann, sondern meint zunehmend auch die Fähigkeit von (Projekt-)Managern, mit diesen Umständen gestaltend umzugehen.
Die größte Herausforderung liegt für die Führungskräfte auch und besonders im Projektmanagement in der Entwicklung eines Vuka-affinen neuen Führungsverständnisses („Mindset“), das sich vom traditionellen Hierarchie- und Rollenverständnis löst und das die unter dem Schlagwort „Agilität“ subsumierten Fähigkeiten nicht nur zulässt, sondern auch gezielt fördert. Vor diesem Hintergrund hat PMI mit dem neuen PMBOK® Guide 6th Edition die Zeichen der Zeit erkannt und einen wertvollen und wichtigen Paradigmenwechsel vollzogen.
Die Anwendung agiler Methoden in PMI-Projektumgebungen ist folgerichtig eines der Themen, bei denen diese Veränderungen am augenfälligsten sind. Bislang wurde das Thema Agilität in der Vergangenheit mit dem PMI Agile Certified Practitioner (PMI-ACP®) als äußerlich scheinbar vom „klassischen“ PMI® Umfeld abgekoppeltes eigenständiges (Rand-)Thema für Zertifizierungen gesehen. Die erstmalige Kopplung des PMBOK® Guide mit dem vom PMI® und der Agile Alliance gemeinsam entwickelten AGILE Practice Guide (1st Edition) spiegelt hier nun einen Paradigmenwechsel wider.
Der agile Praxisleitfaden bietet Handlungsempfehlungen zur adaptiven und hybriden Anwendung agiler Ansätze und zur Nutzung agiler Methoden in PMI Projektumgebungen „klassischer“ Provenienz. Inhaltliche Schwerpunkte sind beispielsweise unterschiedliche Lebenszyklen (inkrementelle, agile, hybride usw.), Schaffen und Gestalten agiler Umgebungen sowie Agilität in Organisationen. In den Anlagen finden sich Zuordnungen des AGILE Practice Guide zum PMBOK® Guide einerseits und zum Agilen Manifest andererseits, sinnvoll ergänzt durch einen Überblick über agile und „Lean“-Regelwerke.
Mit dem aktuellen PMBOK® Guide (6th Edition) sowie dem neuen AGILE Practice Guide vollzieht PMI die Entwicklung vom rein klassisch-traditionellen zum modernen Projektmanagement, in dem unterschiedliche Ansätze und Methoden in Abhängigkeit von den Anforderungen des jeweiligen Projekts parallel oder miteinander verzahnt genutzt werden können.
Der Fokus der künftigen Zertifizierungsexamen verschiebt sich entsprechend. Statt der bekannten fünf Projektgruppen Projektinitiierung, Planung, Ausführung, Überwachung und Steuerung sowie Projektabschluss mit insgesamt 42 Tasks, konzentriert sich die neue Prüfung auf die komplett neuen Domains People, Process und Business Environment mit insgesamt 35 Tasks. Im neuen Examen werden in allen drei Domains Wissen und Erfahrungen aus klassischen, agilen und hybriden Projekten abgefragt.
Spezifische Projektmanagementmethoden werden nicht mehr auf einzelne Bereiche ausgerichtet, sondern stehen durchgängig im Fokus der gesamten Prüfung. Die im PMBOK® Guide, 5th Edition von 2015 enthaltene Liste der „Übergreifenden Kenntnisse und Fähigkeiten“ (Appendix X3, Interpersonal Skills), die ein Projektleiter kennen und beherrschen muss, ist nun in „People“ integriert. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem „Enablen“, d.h. auf anschaulichen Praxisbeispielen für Umfang und Inhalte von den mit konkreten Tasks verbundenen Tätigkeiten.
IPMA®, PMI® und PRINCE2® haben sich im Vergleich zu den letzten Jahren inhaltlich und methodisch weiter geöffnet. Die den drei Zertifizierungsstandards eigenen spezifischen klassischen und agilen Werkzeuge und Methoden lassen sich entsprechend den konkreten Projektanforderungen miteinander kombinieren. Diese Möglichkeiten gestaltend zu nutzen, um auf diesem Weg mit den eigenen Projekten noch erfolgreicher zu werden, ist die spannende Herausforderung für jeden Projektleiter, gleich welcher Branche und Art des Unternehmens.