Wandel im Projektmanagement

Der Wandel von Prozessen zu Prinzipien als Basis für das Projektmanagement

Foto von einem Erdmännchen auf einem Hügel | Projektmanagement

In den letzten Jahren gewinnt in den internationalen Verbänden und Standardisierungsstellen eine Diskussion an Bedeutung, die einen Wandel des Projektmanagements von einem prozess-basierten zu einem prinzipien-basierten Ansatz propagieren. Dies hat sicherlich mehrere Gründe. So basiert das Projektmanagement seit seiner Entwicklung in den 1950ern auf dem „Operations Research“, einer mathematisch orientierten Problemlösemethodik, die mit Hilfe einer möglichst optimalen Planung eine hohe Effizienz in der Projektabwicklung sicherstellen sollte. Dies war insbesondere für die komplexen technischen Vorhaben in der Rüstung, der Raumfahrt oder des Anlagenbaus notwendig. Projektarbeit wurde so in Arbeitspakete unterteilt und über einen dezidierten Prozess, von Beginn bis zum Ende des Projektes aufgeteilt, miteinander vernetzt, simuliert und berechnet und schließlich auf dieser Basis in die Praxis umgesetzt. Das Paradigma der zentralen Planung und der davon getrennten Realisierung hat so lange funktioniert, wie eine hohe Stabilität im Projektumfeld sowie bei der Aufgabenstellung herrschte. Die Trennung von Planung und Umsetzung entsprach dem tayloristischen Denken Anfang des 20. Jahrhunderts, bei dem eine kleine, gut ausgebildete Elite („white collar“) die Planung mit Hilfe von Großrechnern durchführen konnte und die restliche Belegschaft („blue collar“) für die Umsetzung dieser Pläne zuständig war. Schließlich basierte das Prozessdenken im Projektmanagement auch auf der Annahme, dass sich viele Tätigkeiten im Projektmanagement wiederholen und so standardisieren lassen, um eine möglichst hohe Effizienz der Projektabwicklung zu erreichen.

Prof. Dr. Reinhard Wagner

Adam Galgenmüller

All diese Annahmen der Anfangszeit im Projektmanagement passen immer weniger in die heutige Zeit. Eine hohe Veränderungsdynamik erfordert eine kurzzyklischere Planung, die aus der Realisierung ihre Erkenntnisse zieht und idealerweise durch ein und dieselbe Person realisiert wird. Neben der Effizienz (Wirtschaftlichkeit) kommt es heutzutage zunehmend auf die Effektivität (Wirksamkeit) in Projekten an. Was häufig wenig beachtet wird ist auch das Menschenbild, das sich seit den Anfängen der Projektarbeit deutlich verändert hat. So existierte in der Mitte des 20. Jahrhunderts in der Wirtschaft ein Arbeitgebermarkt, bei dem Arbeitgeber sich ihre Mitarbeitenden aussuchen und diese nach ihren Anforderungen in den Betrieb integrieren konnten. Dabei war es einfacher, klare Prozesse, mit einem Input-Prozess-Output (IPO)-Schema vorzugeben und die Einhaltung dieser Prozesse zu überwachen, um so eine möglichst hohe Produktivität bzw. Effizienz zu erreichen. Heutzutage herrscht in den meisten Branchen jedoch ein Arbeitnehmermarkt, bei dem sich die Arbeitssuchenden den Arbeitgeber anhand der Attraktivität des Arbeitsangebotes aussuchen können. Studien zeigen immer wieder auf, dass gerade die junge Generation (Tiba 2021) bei der Auswahl vor allem darauf achtet, selbstbestimmt und mit einem großen Gestaltungsspielraum ausgestattet, an interessanten Projekten arbeiten zu können. Ein zu enges Korsett von Prozessen, Regelwerken und Unterstellungen wird deshalb abgelehnt und Wert gelegt auf den Freiheitsgrad, die Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit der Arbeit. Dies passt auch zu den Erkenntnissen der Self-Determination Theory (SDT), die drei grundlegende Bedürfnisse von Menschen im Arbeitsalltag identifiziert hat, die erfüllt werden müssen, damit ein Mensch motiviert, wirksam und gesund arbeiten kann. Dies sind die Autonomie des Handelns, das Erfahren der eigenen Handlungskompetenz und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Ryan & Deci 2017). All dies könnte in Projekten in idealer Weise realisiert werden. Dies stösst bei engen Vorgaben eines Prozessmodells in den Projekten jedoch an seine Grenzen. Prozesse wirken auf den Menschen als Fremdbestimmung und schränken die Selbstbestimmung deutlich ein. Auch die Entwicklung der Handlungskompetenz ist bei vorgegebenen Prozessen mit detaillierten Anweisungen nur schwer möglich. Schließlich ist bei einem engen Korsett von Prozessen die Zusammenarbeit auch eher formal über Rollen und RASIC-Tabellen geregelt, der Aufbau informeller und persönlicher Beziehungen zu dem Team wird nur außerhalb der formalen Prozesse möglich sein. Projektarbeit ist also prinzipiell gut geeignet zur Erfüllung der menschlichen Grundbedürfnisse, ein enges Korsett von Prozessen zur Projektabwicklung macht Projektarbeit allerdings zunehmend unattraktiv und die junge Generation wendet sich deshalb eher start-ups oder Unternehmen zu, die ihren persönlichen Bedürfnissen eher gerecht werden.

Prinzipien sind eine Alternative zu Prozessen im Projektmanagement und finden zunehmend Resonanz im Projektmanagement. So basieren die agilen Methoden der Projektabwicklung auf Prinzipien, die neue Version des PMI PMBOK® Guide (PMI 2021) präsentiert im Gegensatz zu den Vorgängerversionen statt eines Prozessmodells zwölf Projektmanagement-Prinzipien und bei dem für Projektmanagement zuständigen ISO-Gremium wird aktuell über Projektmanagement-Prinzipien diskutiert (Blampied et al. 2023). Gemäß Duden ist unter einem Prinzip eine Regel zu verstehen, die jemand zur Richtschnur seines Handelns macht bzw. durch die er sich in seinem Denken und Handeln leiten lässt. Als Leitplanke verstanden lässt ein Prinzip deutlich mehr Gestaltungsspielraum zu und beschreibt welches Verhalten in einer bestimmten Situation angemessen ist und nicht wie die Schritte zur Zielerreichung genau aussehen. So gibt es beispielsweise das Prinzip „Tailoring“, das empfiehlt, das Projektmanagement-Design an die spezifischen Anforderungen des Kunden und des Projektes anzupassen und nicht – wie in einem Prozessmodell impliziert – einem einzigen Vorgehensmodell („one size fits it all“) zu folgen. Vergleicht man die in der Literatur genannten Prinzipien, so kristallisieren sich die folgenden zehn Favoriten heraus:

  1. Governance
  2. Strategic alignment    
  3. Sponsorship
  4. Leadership
  5. Teamwork
  6. Stakeholder
  7. Tailoring & adaptability
  8. Organizational values
  9. Continuous improvement
  10. Risk

So beschreibt beispielsweise die Association of International Project Management Officers (AIPMO 2023, S. 35) das Prinzip „Strategic Alignment“ im Projektmanagement wie folgt: „Ensuring the right initiatives are selected, and checked against the then and current strategy throughout their respective lifecycles.” Hier wird also beschrieben, worauf bei der Ausrichtung von Projekten, Programmen und Projektportfolios zu achten ist und nicht was im Einzelnen wie gemacht werden muss. Diese Liste ist sicherlich nicht vollständig und wird in den nächsten Jahren wohl sukzessive weiterentwickelt werden. In Unternehmen können diese allgemeinen Prinzipien weiter angepasst werden, u.a. an die strategische Ausrichtung, die Governance und die Anforderungen der Belegschaft.  

Prinzipien und Prozesse für das Projektmanagement stehen übrigens nicht im Widerspruch zueinander und können sich sogar ergänzen. Was wir derzeit in vielen Unternehmen beobachten ist, dass die bisher sehr detaillierten Prozessmodelle angepasst werden an bestimmte Projektkategorien (geringe, mittlere und hohe Komplexität) oder Projekttypen (Veränderungs-, IT- oder Bauprojekte). Prinzipien bilden dann den Rahmen oder Leitplanken für die Projektabwicklung. Weniger Details bei den Prozessen im Projektmanagement erfordert jedoch auch eine neue Qualifizierung, denn die Projektleitung muss jetzt nicht mehr einem vorgegebenen Projektmanagementansatz folgen, sondern sich Gedanken machen, welcher Ansatz aus dem Werkzeugkoffer des Projektmanagements passend ist. Dies gibt mehr Spielraum und bedeutet gleichzeitig mehr Verantwortung des Einzelnen für die richtige Auswahl und Einsatz des Projektmanagements in der Situation. Bei Projekten im regulierten Bereich wird es auch in Zukunft sicher noch Prozesse brauchen, ergänzt um Prinzipien. Dagegen kann in kreativen Projekten sicherlich komplett auf Prozesse verzichtet und auf Prinzipien umgestellt werden. Hier kommt es vor allem auf die Effektivität und weniger auf die Effizienz der Projekte an. Letztlich kommt ein an Prinzipien ausgerichtetes Projektmanagement den Bedürfnissen der Menschen eher entgegen als die Vorgabe detaillierter Prozesse.

Literatur

AIPMO (2023). Organizational, Portfolio, Program, and Project Principles. How to build a principles-based PPM Environment. Association of International Project Management Officers, Wollerau.

Blampied, N., Buttrick, R., Jucan, G., Piney, C., Stevens, C., Violette, D. & Wideman, M. (2023). In Search of Project Management Principles. Project Management Journal, 54(6), S. 588-606.

PMI (2021). A Guide to the Project Management Body of Knowledge. PMBOK Guide. 7th Edition. Project Management Institute, Newtown Square.

Lang, M. & Wagner, R. (2019). Der Weg zum projektorientierten Unternehmen. Hanser, München. 

Ryan, R.M. & Deci, E.L. (2017). Self-Determination Theory. Basic Psychological Needs in Motivation, Development and Wellness, The Guilford Press, New York & London.

Tiba (2021). Transformationsbedarf für Unternehmen aus Sicht der Generation Z. Eine Gemein-schaftsstudie der Tiba Managementberatung GmbH und dem Bundesverband Deutscher Studentischer Unternehmensberatungen e.V. Tiba Managementberatung GmbH, München.

Timinger, H. (2021). Modernes Projektmanagement in der Praxis. Mit System zum richtigen Vorgehensmodell. Wiley, Weinheim.

Wagner, R. (2023a). Unternehmenserfolg durch Projekte gestalten. Ein Leitfaden für Führungskräfte zur wirkungsvollen Anwendung und Durchführung. Tiba Managementberatung GmbH, München.

Wagner, R. (2023b). Effektives Projektmanagement im Unternehmen etablieren. Tiba Managementberatung GmbH, München.

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